Brandanschlag in Lübeck

In der Nacht von 28. zu 29. Juni wurde im Lübecker Stadtteil Kücknitz ein Brandanschlag auf den Rohbau einer Unterkunft für geflüchtete Menschen verübt. Dabei wurden keine Personen verletzt (Berichte von LN und taz ). In der Nähe des Ortes des Anschlags wurden Aufkleber der NPD gefunden, für die Jörn Lemke presserechtlich verantwortlich ist (siehe Artikel der Antifaschistischen Koordination Lübeck ).

Gegen den Brandanschlag und für die Solidarität mit Geflüchteten wird es am 11. Juli eine Demo in Lübeck geben.

Haftstrafe für Alexander Hardt und Hintergründe zu rechten Aktivitäten im Südosten

Das Landgericht Kiel hat das Urteil im Prozess gegen die Rocker und Neonazis Peter Borchert (Ex-NPD-Landesvorsitzender und Führungsfigur “Kieler Kameradschaft” und “AG Kiel”), Nils Hollm (“AG Kiel” und ehemaliger NPD-Kandidat) und Alexander Hardt (ehemals “AG Neumünster”) gesprochen. Die Angeklagten sollen im Jahr 2009 einen rivalisierenden “Hells Angel” angegriffen haben. Der Vorfall ereignete sich in der rechten Kneipe “Titanic” in Neumünster. Nachdem sich zunächst kein Zeuge an irgendwas erinnern wollte, sagten jetzt der Wirt und Neonazi Horst Micheel und dessen Sohn Björn gegen die ehemaligen Kameraden aus. Der aufgrund anderer Vergehen inhaftierte Hardt nahm die Schuld im Prozess auf sich und wurde zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt. Borchert und Hollm wurden freigesprochen. Dieses Urteil wird vermutlich das ohnehin geschwächte Geschäft “PLS Werkzeuge” von Hardt in Kiel weiter lähmen. Offenbar sind die anderen beteiligten Neonazis nicht in der Lage, das Geschäft ohne die Hauptfigur Hardt weiter zu führen.

Über den Prozess berichtet auch der Blick nach Rechts .

Unterdessen erschien ein Artikel der Antifa Herzogtum Lauenburg zu den rechten Strukturen vor Ort um den NPD-Nachwuchskader Simon Haltenhof.

Nazi im Seniorenbeirat in Lübeck

Am 17.5. wurde in Lübeck der Seniorenbeirat neu gewählt. Unter den gewählten Person ist auch Reinhart Jahnke, der in der Vergangenheit durch rassistische und antisemitische Leserbriefe sowie seinem engen Kontakt zur organisierten Naziszene auffiel (Link ). So war er in der Vergangenheit Bürgermeister-Kandidat der DVU, zeitweise in der NPD engagiert und hielt Kontakt mit Ralf Wohlleben (Unterstützer der Terrorgruppe "NSU").

NPD und AfD in NMS und Verurteilung wegen Brandanschlag von Escheburg

Am letzten Sonnabend vor der Wahl trat die AfD mit ihrem Bürgermeisterkandidaten auf dem Großflecken in Neumünster auf. Gegen ihren Stand richteten sich Proteste (Link ). Entgegen der Erwartungen erschien die NPD nicht. Außerdem verliert die NPD weiter Treffpunkte in Neumünster. Nachdem der “Club 88” vor über einem Jahr geschlossen wurde und die Betreiber der Kneipe “Titanic” Szene-Streitigkeiten mit der NPD haben, hat die NPD nun auch ihren Treffpunkt am Stadtrand verloren (Link ). Die Not der NPD, Räume für ihre Veranstaltungen zu finden, zeigte sich schon daran, dass ihr letzter Landesparteitag im mecklenburgischen Grevesmühlen stattfand.

Nach dem Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Escheburg wurde nun der Täter, Kim-Alexander Müller, verurteilt. Durch die Strafe wird er voraussichtlich seinen Beamtenstatus verlieren. Vor Gericht äußerte er als Motiv vor allem Sorgen um seine Familie und Nachbarschaft, ein Wort der Entschuldigung oder Reue ließ er nicht vernehmen (Spiegel und taz berichteten). Stattdessen bestätigen seine Aussagen vielmehr seine rassistische Motivation (Analyse der AHL nach dem ersten Prozesstag).

Update: Ein ausführlicher Bericht über den Prozesss findet sich hier .

NPD-Wahlkampf in Neumünster

Im Vorlauf der Oberbürgermeisterwahl in Neumünster sind in der Stadt verstärkte Aktivitäten der NPD zu verzeichnen. Nachdem die letzten Monate verstärkt rassistische Propaganda gegen Flüchtlingsunterkünfte in Neumünster und dem benachbarten Boostedt betrieben wurde, tritt die NPD aktuell mittels Plakaten, Flugblättern und Kundgebungen in der Neumünsteraner Innenstadt auf. Ziel dieser Aktivitäten, wie auch die Kandidatur Mark Prochs als Oberbürgermeister allgemein, dürfte nicht echte politische Partizipation sein, sondern wie so oft werden Parteienprivilegien genutzt, um Aufmerksamkeit auf neonazistische Inhalte außerhalb der Parlamente zu lenken. Für diese Strategie spricht, dass der NPD-Ratsherr Proch bisher in Neumünster von etablierter Politik, Presse und Zivilgesellschaft gleichermaßen gemieden bis angefeindet wird, allerdings die Stadt an der Schwale seit Jahrzehnten über einen situativ ansprechbaren Nährboden an Rassist_innen verfügt. Dieses Potential versuchen insbesondere Mark Proch und Daniel Nordhorn seit Jahren zu nutzen und für dauerhaftes Engagement zu gewinnen. Zu diesem Zweck versuchen sie ein, im Vergleich zu anderen NPD-Kreisverbänden, relativ großes Maß an öffentlicher Präsenz zu erreichen.

Aktuell bekommt die NPD in Neumünster Unterstützung von Neonazis aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, um trotz ihrer dünnen Personaldecke die erhoffte Öffentlichkeit erzielen zu können. Aus Hamburg war Lennart Schwarzbach (am 6. Dezember in Boostedt) anwesend und aus Mecklenburg-Vorpommern der dort wohnhafte Hamburger NPD-Vorsitzende Thomas Wulff (am 18. April in Neumünster) und der Ex-Neumünsteraner Arne Voss (am 2. Mai in Neumünster). Aus Schleswig-Holstein zeigten sich neben dem Stammpersonal des NPD-Kreisverbands Segeberg-Neumünster (Daniel Nordhorn, Mark Proch, Alexander Meeder, Timo B. und zuletzt verstärkt Manfred Riemke) Neonazis des NPD-Kreisverbands Nordfriesland/Schleswig-Flensburg und deren Umfeld (Günther Lönne, Johannes Thomsen, Marc-Richard Tenten), von der Westküste (Ingo Stawitz, Rudolf Rosenthal, Helmut Radunski) und einzelne Neonazis wie Jens Lütke (Preetz) und Karl Johannsen (Grömitz).

Für den Endspurt bis zur Wahl am Sonntag dürfte mit weiteren Aktivitäten der NPD zu rechnen sein. Zu beachten ist, dass die NPD aufgrund der Wahl weitgehend von den üblichen behördlichen Zwängen befreit ist. Kundbegungen müssen beispielsweise nicht angemeldet werden und Plakatierungen sich nur an wenige Begrenzungen halten. Bereits letzten Samstag zeigte das Bündnis gegen Rechts Präsenz gegen die Neonazis und auch einen Tag vor der Wahl wird wieder zu Widerstand gegen die Neonazis aufgerufen .

Zuletzt machte sich Proch außerdem zum Gespött der virtuellen Community: klick

Gerichtsprozess wegen Entlassung von Dieter Eick beendet

Bereits im vergangenen September entließ die Waldorfschule in Rendsburg ihren Geschäftsführer Dieter Eick wegen dessen Verbindungen in neonazistische Kreise . Er hatte u.a. dem “Deutschen Polizeihilfswerk” Räume der Schule zur Verfügung gestellt und war mehrfach durch rechte Äußerungen und politische Agitation aufgefallen. Gegen die Entlassung klagte Eick. Er führte an, nur ein offenes Ohr für Andersdenkende zu haben und deshalb habe er Neonazipropaganda an der Schule verteilt und “Krönungen” in der “Reichsbürgerszene” besucht. Dieses Engagement habe der Schule und ihren Schüler_innen keinen Schaden zugefügt. Der Richter am Kieler Arbeitsgericht folgte dieser offensichtlichen Schutzbehauptung zumindest insoweit, dass er auf einen Vergleich drängte. Am Ende bekam Eick vier Monatsgehälter Abfindung zugesprochen .

Über das “Deutsche Polizeihilfswerk” und die Machenschaften von Eick existiert auch ein Artikel auf psiram.com .

Den Fall thematisierten verschiedene überregionale Medien, so Der Spiegel und Vice .

Von geliebten und ungeliebten Neonazis – Hintergründe zum rechten “Lesertreffen” in Zeulenroda-Triebes


Der Veranstaltungsort des “Lesertreffens” 2015: Das “Bio-Seehotel Zeulenroda”

Vom 6. – 8. März fand im thüringischen Zeulenroda-Triebes das “Lesertreffen” des “Deutschen Nachrichtenmagazins Zuerst!” statt. Die schleswig-holsteinische Verlagsgruppe “Lesen & Schenken” des Neonazis Dietmar Munier konnte ca. 400 Gäste zu diesem, für die äusserste Rechte bedeutenden, Treffen mobilisieren. Doch neben aller vereinten deutschtümelnden Herrlichkeit von Neonazis, Faschist_innen, Rassist_innen, Militarist_innen und vermeintlich “Vertriebenen” aller Coleur, droht der traditionellen Veranstaltung des Martensrader Verlagshauses Ungemach aus verschiedenen Richtungen. Nicht bloß in Form gesellschaftlichen Gegenwinds; auch neonazistische Szenekonflikte scheinen den Nimbus des vermeintlich alle erzreaktionären Strömungen zusammenführenden Patriarchen Munier zu beschädigen. Wir möchten in diesem Artikel aufbauend auf einen vorangegangenen Text einige aktuelle Entwicklungen und Hintergründe beleuchten.

Veranstalter_innen
Die Veranstaltung in Zeulenroda-Triebes wurde als “Lesertreffen” der rechten Zeitschrift “Zuerst!” beworben. “Zuerst!” wird von der “Lesen & Schenken”-Verlagsgruppe von Dietmar Munier herausgegeben. Neben diesem Magazin werden in dem in Martensrade (Kreis Plön) beheimateten Verlagshaus verschiedene weitere Publikationen verlegt, beispielsweise die sich vor allem an die “Vertriebenen”-Szene richtende Zeitung “Der Schlesier” oder die “Deutsche Militärzeitschrift” für Militarist_innen. Außerdem gehören in Muniers geschäftlichen Einflussbereich noch diverse kleinere Verlage und Handel mit allerlei Devotionalien. Alle eint die zum Teil neurechte, zum Teil neonazistische Ausrichtung.
Der 61-jährige Dietmar Munier selbst entstammt der völkischen Neonaziszene. Auch wenn er nie Berührungsängste in Richtung NPD, JN, Neuer Rechten oder zu konservativen Kreisen aufwies, ist die erkennbare Konstante in Muniers politischem Wirken der klassische, durch “Blut und Boden” legitimierte (Neo-)Nationalsozialismus. Ob der gemeinsame Buchladen mit dem Auschwitz-Aufseher Thies Christophersen, die führende Rolle in der völkischen Jugendarbeit um “Die Heimattreue Jugend”, “Bund Heimattreuer Jugend” und “Heimattreue Deutsche Jugend”, der gute Kontakt zu den SS-Veteranenverbänden oder die vielfältigen Initiativen zur “Wiederansiedlung” von vermeintlichen “Deutschen” im heutigen Russland: Muniers Neonazismus wird zwar modern präsentiert, orientiert sich aber an den klassischen Leitlinien der NS-Zeit. Vor diesem Hintergrund wirkt manche Neonazi-Postille aus dem Hause Munier geradezu harmlos. Dieser nach aussen teilweise “weichgespülte” Kurs von “Zuerst!” dürfte vor allem taktischer Natur sein. Munier hat erkannt, dass sich mit explizitem NS-Habitus kein Geld verdienen lässt, kaum neue Gesichter in die Szene kommen und die Herausgeber_innen oftmals wegen Volksverhetzung vor Gericht landen. Stattdessen wählt Munier den Weg, zumeist nur rechte Konsens-Themen wie Militärismus oder Rassismus zu bedienen. Eigene differenzierte Positionierungen fehlen oft. “Zuerst!” versucht in diesen Fällen der Gesellschaft lediglich den braunen Spiegel vorzuhalten, indem z. B. Meldungen aus bekannten Presseorganen rassistisch und chauvinistisch umgedeutet werden. Wenn sich allerdings einmal offen positioniert wird, kommt es wie erwartet. Holocaust-Leugner_innen wie David Irving dürfen ihre Theorien genauso unters Volk bringen wie Heinz Magenheimer seine “Präventivkriegs”-Thesen oder die italienische “Casa Pound” ihren Neonazismus.
Der aktuelle Chefredakteur und neben Munier der zweite Hauptverantwortliche für das “Lesertreffen” ist der Berliner Manuel Ochsenreiter. Ochsenreiter pflegt rege Kontakte in die Neue Rechte, insbesondere zur “Identitären Bewegung” und zu burschenschaftlichen Kreisen. Doch bei dem Thema offener Antisemitismus, der Streitfrage zwischen eher “rechtspopulistisch” und neonazistisch geprägten Rechten, erhält Ochsenreiter das klassische Feindbild der Neonazis. In seinem Antisemitismus schmiedet er auf den ersten Blick skurrile Allianzen, sei es mit Despoten und Islamist_innen im Nahen Osten oder mit der Kreml-Presse. Gerade in Russland ist er für staatliche oder staatsnahe Medien ein deutscher “Experte”, der regelmäßig über mangelnde “Meinungsfreiheit” in Deutschland zu berichten weiß. Dass sein Verleger Dietmar Munier wegen seinen neonazistischen Aktivitäten in Russland schon lange mit einem Einreiseverbot belegt ist, tut der unheiligen Zweckgemeinschaft keinen Abbruch. Ochsenreiter genießt die Möglichkeit, seine Thesen von “kontrollierten Medien” und vermeintlich lenkenden Hintergrundstrukturen vor einem großen Publikum zu präsentieren und der Kreml bekommt die erhofften antieuropäischen Statements.
Das Martensrader Verlagsgeflecht ist jedoch nicht nur ein Verlags- und Handelshaus. In Schleswig-Holstein ist es ein zentraler Ort für rassistische und neonazistische Politik. Die Liste ist lang, beispielsweise dient das Martensrader Anwesen während der Wahlkämpfe als Materiallager für die NPD (deren ehemaliger Landesvorsitzender Jens Lütke praktischerweise gleich dort Mitarbeiter ist), finden Sonnenwendfeiern mit Neonazi-Prominenz statt , werden die Osteuropa-Aktivitäten der deutschen Neonazis koordiniert und nicht zuletzt verschiedenen Akteur_innen der rechten Szene die Möglichkeit gegeben, mit ihrer Weltanschauung Geld zu verdienen. Die organisatorische Schwäche der NPD- und Kameradschaftsstrukturen im Norden lässt wichtige aktuelle Aufgaben zum Teil auf das Unternehmen “Lesen & Schenken” übergehen. So wurde der Bus, mit dem Neonazis aus Schleswig-Holstein und Hamburg am 19. Januar 2015 zu PEGIDA nach Dresden fuhren, aus Martensrade organisiert. Auch wenn öffentlich Zurückhaltung geübt wird, macht in der Neonaziszene die Runde, dass Jens Lütke und Sebastian Pella, früher JU-Funktionär und jetzt Angestellter von Munier, maßgeblich ihre Arbeitszeit im “Lesen & Schenken”-Verlag nutzten, um die Busfahrt auszurichten.


Sebastian Pella (mitte) 2011 auf einem Grillfest der Jungen Union in Biebesheim am Rhein (Hessen)

Vorgeschichte “Lesertreffen”
Das “Lesertreffen” fand bisher in Kombination mit der Jahreshauptversammlung des “Schulvereins zur Förderung der Russlanddeutschen in Ostpreussen” statt, einem Zusammenschluss mit gebietsrevisionistischen Bestrebungen im russischen Kaliningrad. Gründungsvater des Vereins ist Dietmar Munier , langjähriger Vorsitzender Henning Pless, ein Munier-Vertrauter aus Zeiten der “Heimattreuen Jugend” . Pless war hauptverantwortlich für die Planung der jährlichen Zusammenkünfte. Über die Jahre kam ein illustrer Kreis an Referent_innen und Besucher_innen zusammen. Verschiedene reaktionäre Strömungen wurden u.a. vertreten von Götz Kubitschek (Vordenker der Neuen Rechten), Horst Mahler (bekannter Holocaust-Leugner), Abdallah Melaouhi (Krankenpfleger von Rudolf Heß, der die Mordthese der Neonazis stützen soll), Ulrich Pätzold (NPD), Baldur Springmann (Wehrmachtsveteran und Vordenker der esoterisch-ökologischen Rechten, inzwischen verstorben), Klaus Hornung (CDU), Franz Wilhelm Seidler (Militarist) oder Barnabas Bödecs (Jobbik-Partei aus Ungarn).
Diese einträchtigen (und auch einträglichen) Vernetzungen des rechten Spektrums bekamen erst im letzten Jahr einem Dämpfer. Nachdem in den Jahren zuvor das Treffen in Pommersfelden (Bayern) stattfand, mussten die Neonazis 2013 erstmals nach Oberwiesenthal (Sachsen) ausweichen. In der Folge sei, laut Mitteilung der Neonazis, der Druck auf den Betreiber des Hotels in Oberwiesenthal zu groß geworden und der Veranstaltungsort stünde nicht mehr zur Verfügung. Doch wie so oft ist das nur die halbe Wahrheit. Mit Henning Pless geriet der Hauptorganisator in Kiel, wo dieser eine Heilpraxis betreibt, unter gesellschaftlichen Druck und stand in der Folge nicht mehr als Strippenzieher zur Verfügung. Zwar konnte der “Schulverein” Anfang 2014 mit Genrih Grout (Berlin) einen Nachfolger für den Vereinsvorsitz finden, allerdings war es da für die Organisation eines erneuten “Lesertreffens” für das Jahr 2014 schon zu spät.

“Lesertreffen” dieses Jahr
Grund genug für Dietmar Munier und Manuel Ochsenreiter dieses Jahr mit einer gewissen Dramatik die Werbetrommel für das “Lesertreffen” zu rühren. Auf der einen Seite priesen sie in höchsten Tönen die Veranstaltung und das zugehörige Hotel “Bio-Seehotel Zeulenroda” an, auf der anderen Seite beschwerte sich der Millionär Munier über die ausbleibenden Gäste bei der letzten Veranstaltung und angebliche wirtschaftliche Nachteile. Seinen potentiellen Gästen drohte er, “[w]enn ihr nun nicht in massiver Zahl erscheint, dann sind diese Tagungen mausetot. Also, nicht über die politischen Verhältnisse jammern, sondern anmelden, mitmachen[…].” Inwieweit Muniers wirtschaftlicher Erfolg die bestehenden Verhältnisse gefährdet, mögen sich zwar Beobachter_innen fragen, aber die Stammklientel parierte und ca. 400 Gäste zahlten die 227- 279 Euro Gebühr.
Neben der Jahreshauptversammlung des “Schulvereins” und verschiedenen folkloristischen Programmpunkten sollten sich wieder einmal diverse rechte Referent_innen die Klinke in die Hand geben. Doch es kam erneut anders. Akif Pirinçci (geplantes Vortragsthema: “Wenn Minderheiten die Mehrheit dominieren: Von Homoehe bis Multikulti”), James Bacque (“Vor 70 Jahren: Der Massenmord in den Rheinwiesenlagern”) und Walter Post (“Der erste unnötige Krieg: Die Ursachen des Ersten Weltkriegs”) erschienen gar nicht erst, Alexander Dugin (“Rußland und der Ukraine-Konflikt: Den Zwängen der Geopolitik kann sich niemand entziehen”) wurde mangels Ausreisegenehmigung durch Russland per Videoschaltung präsentiert. Für die ausgefallenen Vorträge sprangen Gerd Schultze-Rhonhof (Geschichtsrevisionist und ehemaliger Generalmajor der Bundeswehr) und Alfred Zips (ebenfalls Geschichtsrevisionist aus den Reihen der Bundeswehr) ein. Außerdem referierten während des “Lesertreffens” noch Menno Aden (“Feindliche Verwandtschaft: Deutsche Fürsten auf fremden Thronen”), Klaus Ulrich Hammel (“Schicksalsjahr 1945: Der Untergang Ostpreußens”), der “Zuerst!”-Autor Jan von Flocken (“Der eiserne Kanzler: zum 200. Geburtstag von Otto von Bismarck”) und die FPÖ-Funktionärin Barbara Rosenkranz (“Europa fördern, EU zähmen, Euro stoppen”).
Insbesondere der geplante Vortrag von Alexander Dugin sorgte im Vorfeld für Aufsehen. Politiker_innen forderten ein Einreiseverbot für ihn und Manuel Ochsenreiter versuchte diese Vorgänge propagandistisch zu nutzen. Insgesamt zeigt die Personalie Dugin die Absurdität des Nationalismus. Während Dugin sich für ein grossrussisches Reich einsetzt, ist sein (verhinderter) Gastgeber und geistiger Verwandter Munier in Russland genau deshalb mit einem Einreiseverbot belegt, da er zugunsten von grossdeutschen Fantasien russische Gebiete als “deutsch” beansprucht.


Jens Lütke (ganz rechts) als Redner in Plön im März 2012, neben ihm Neonazis der Lübecker, Flensburger und nordfriesischen Neonaziszene, u.a. Arne Kaehne (Husum, ganz links) und Maik Matthiesen (inzwischen Jübek, links neben Lütke)

Eklat um Ursula Haverbeck-Wetzel
Ursula Haverbeck-Wetzel, die bekannte Holocaust-Leugnerin und Witwe des Reichsleitung der NSDAP-Mitglieds Werner Georg Haverbeck aus Vlotho (Nordrhein-Westfahlen), erschien mit einigen Teilnehmer_innen aus dem Umfeld der Partei “Die Rechte” ebenfalls zum diesjährigen “Lesertreffen”. Zum Eklat kam es, als Munier Haverbeck-Wetzel der Veranstaltung verwies. Nach einigen Diskussionen verlies sie mit ihren Anhänger_innen Zeulenroda-Triebes unverrichteter Dinge. Allerdings schlug der Vorfall hohe Wellen in der Neonaziszene. Die emsige ehemalige “Collegium Humanum”-Aktivistin geniesst auch in aktionistischen Gruppen hohes Ansehen. Folglich waren die (virtuellen) Reaktionen der Neonazis heftig. Von einer “Affenschande” und dem “Schwein” Munier war die Rede. “Die Rechte” aus Verden äusserte gar, dass Dietmar Munier nichts mehr in der “Bewegung” verloren habe.
Klar ist, dass der Rauswurf keine inhaltlichen Gründe hat. Munier hat nie die Nähe zu Altnazis und Holocaustleugner_innen gescheut. Allerdings dürfte das provokante Vorhaben von Haverbeck-Wetzel, auf der Veranstaltung für die Unterstützung angeklagter KZ-Aufseher_innen zu werben, die Veranstalter_innen in eine missliche Lage versetzt haben. Ein derart offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus könnte sowohl die Vertreter_innen der Neuen Rechten, als auch die Hotelleitung dazu nötigen, der Veranstaltung ihre Unterstützung zu versagen. Damit wäre allerdings eine Veranstaltung dieser Grössenordnung undenkbar. Muniers Entscheidung, sich bei drohenden öffentlichen Skandalen gegen die “Bewegung” zu entscheiden, interpretieren manche Neonazis als “Geschäftemacherei”. Eine Einschätzung, die bei einer Bilanzsumme allein für den “Lesen & Schenken”-Anteil seines Vermögens 2013 von 1,225 Millionen Euro nachvollziehbar erscheint – gerade in Anbetracht der sonst eher schleppenden Aktivitäten der braunen Geschäftswelt.

Ausblick
Auch nächstes Jahr wird vermutlich wieder ein “Lesertreffen” stattfinden. Hans Bauerfeind, Betreiber des “Bio-Seehotels Zeulenroda”, soll sich angeblich schon positiv zu einer weiteren Zusammenarbeit geäussert haben. Allerdings wird Munier aller Voraussicht nach auch zukünftig auf Henning Pless verzichten müssen und sein Nachfolger Genrih Grout macht sich noch rar. Also wird den Neonazis vermutlich auch im nächsten Jahr der eine oder andere Fehler in der Planung unterlaufen. Aktuell bleiben dürfte der Konflikt zwischen Muniers angestammtem Umfeld, den völkischen Neonazis, und dem phasenweise neurechts angehauchten Auftritt des Martensrader Verlagshauses. Insbesondere bei Kernfragen wie dem Verhältnis zum Holocaust oder “Veteranen der Bewegung” wird “Verrat” bei neonazistischen Akteur_innen nicht akzeptiert.


Jan von Flocken posiert für ein Interview der “Deutschen Militärzeitschrift” mit Fahnen rassistischer Regime auf seinem Schreibtisch

Alter Wein in neuen Schläuchen – Portrait der neonazistischen Kameradschaft “Identitas Gemeinschaft”


Rechte Lebenswelten: Tobias P. (links) und Ive E. von der “Identitas Gemeinschaft”

In Ostholstein macht seit 2012 eine neonazistische Organisation auf sich aufmerksam. Die Mitglieder der zunächst als „Identitas Nord“ und später als „Identitas Gemeinschaft“ (IG) bezeichneten Kameradschaft besuchten in den letzten Jahren Aufmärsche, Rechtsrockkonzerte, streben Vernetzung zu rassistischen Organisationen im In- und Ausland an und versuchen mit allerlei aktionistischem Gehabe und heroischem Pathos vor allem junge Menschen an sich zu binden. Zur NPD wird ein ambivalentes Verhältnis gepflegt. Einerseits werden mangels Alternativen gemeinsam Aufmärsche besucht und gibt es zum Teil personelle Überschneidungen, andererseits scheuen die sich zum Teil eher an dem Stil der „Autonomen Nationalisten“ orientierenden „Identitas“-Aktivist_innen die biedere Parteiarbeit. Soweit das bekannte Konzept der „Freien Kräfte“. Ungewöhnlich ist hingegen die nach außen propagierte Abgrenzung vom klassischen Nationalsozialismus und die Übernahme von Fragmenten aus der Ideologie der „Neuen Rechten“. Doch bei genauer Betrachtung scheint dieser Versuch einer Neuausrichtung mehr das Ergebnis einer Strategiediskussion innerhalb der rechten Szene zu sein als eine ernsthafte Distanzierung vom völkischen Neonazismus. Versprochen wird sich davon offenbar, den ewig gestrigen Mief der Kameradschaftsszene hinter sich zu lassen und anschlussfähig für Organisationen zu werden, die sich mit offen auftretenden Neonazis nur ungern blicken lassen. Tatsächlich bleiben die meisten Mitglieder fest in die neonazistische Szene integriert.

Ideologie und grundlegende Konzepte
Die IG veröffentlichte mehrere wortreiche Pamphlete, in denen die vermeintliche Distanz der Kameradschaft zum Nationalsozialismus belegt werden soll. Sie geben zu, dass viele ihrer Aktivist_innen in neonazistischen Organisationen aktiv waren, diese seien aber jetzt geläutert. Ihre ausführlich dargestellten Beweggründe für die Distanzierung von ihren früheren Organisationen zeichnen das Bild von desillusionierten Aktivist_innen, die sich über fehlende Kameradschaft in der rechten Szene, ausgeprägten Antiintellektualismus und mangelnde Anpassung an den Zeitgeist beklagen. Die versprochene Distanzierung von den ideologischen Eckpfeilern des Nationalsozialismus bleiben die Autor_innen der Texte jedoch schuldig. Im Gegenteil wird sich zu allen wesentlichen Punkten des völkischen Rassismus bekannt. Lediglich wird gefordert, die klassische Idee des Kampfes zwischen den „Völkern“ um die Vorherrschaft durch den Ethnopluralismus zu ersetzen. Dieses vermeintlich „neue“ Konzept prägt allerdings weite Teile der neonazistischen Szene seit Jahrzehnten. Internationale Vernetzung rechter Gruppierungen und Forderungen nach einem „Europa der Vaterländer“ zeugen davon.
Die Kameradschaft möchte sich weder ideell noch personell von der Neonaziszene distanzieren. Allerdings dürfte so die Neuausrichtung und damit die Öffnung für nicht neonazistische Kreise schwer fallen. Um beide Aspekte dennoch vereinbar zu machen, greift sie wiederum auf ein altes Konzept zurück, natürlich nicht ohne zu betonen wie „neu“ und „revolutionär“ es wäre. Wie unzählige Grauzonenbands und rechte Hooligan-Gruppen vor ihnen, versuchen sie das Politische zu entpolitisieren. Man sei weder „rechts“ noch „links“ oder in sonstigen Kategorien politischer Analyse zu verorten, sondern lediglich eine Gruppe junger Menschen, die sich um ihre „Heimat“ und deren „Tradition“ und „Kultur“ sorge und die Widerstand gegen die „moderne Welt“ leiste. Dieser einfachen und höchst diffusen „Theorie“ werden pathetische Symboliken und allerlei aus dem Kontext gerissene Zitate bekannter Persönlichkeiten beigemengt, in dem Versuch sie damit aufzupolieren. Dahinter scheint die Hoffnung zu stehen, sowohl für die „eigene“ neonazistische Szene attraktiv bleiben zu können, als auch hinreichend diffus zu sein, um neue Kreise ansprechen zu können und sich insbesondere in die Neue Rechte hinein vernetzen zu können.


Fabian Wittig

Zeugnis dieses pragmatischen Kompromisses sind die Veröffentlichungen der Gruppe. Meist werden relativ wahllos Texte der neurechten „Identitären Bewegung“ übernommen oder selbst geschrieben. Auch der Name und die zahlreichen Vernetzungen sprechen für eine Einbindung in diese selbsternannte „Bewegung“. Allerdings im Falle der IG durchmischt mit vielen Symboliken der neonazistischen Subkultur und nordischen Mythologie wie Runen, „Walhalla“-Schriftzüge, Bandshirts von Rechtsrockkapellen und vielem mehr. Insbesondere die in allen rechten Strömungen beliebte bodenständige Naturverbundenheit wird inszeniert.

Um den eigenen Rassismus positiv darzustellen, wird, analog zur neonazistischen „Casa Pound“-Bewegung in Italien, mit der auch persönliche Treffen stattfanden, oft Bezug genommen auf die Rechte und Lebensweisen von Indigenen. Getreu dem Grundgedanken des Ethnopluralismus sei kein „Volk“ schlechter als das andere, nur dürften keine Mitglieder eines „Volkes“ „fremde“ Gebiete besiedeln oder „fremde“ Lebensweisen kopieren, denn das widerspräche deren „natürlicher Lebensweise“. Demnach stellt der vermeintliche Eintritt für die Rechte von Indigenen nur eine schlecht kaschierte Variante des klassischen Rassismus dar. Während klassische Nazis Menschen nicht-weißer Hautfarbe generell als minderwertig betrachten, wird hier behauptet, Nicht-Weiße wären nicht generell unterlegen, sondern ihre spezifischen Fähigkeiten kämen nur in ihrer „natürlichen“ Umgebung zum tragen, die selbstredend fernab Europas liegen würde. Schnell werden nach den eigenen rassistischen Stereotypen noch ein paar „faszinierende“ Eigenschaften dieser „Eingeborenen“ ersonnen und schon kann sich die eigene rassistische Hetze als humaner Akt anfühlen. Schließlich würde die Vertreibung von Menschen, die den Rassist_innen als nicht deutsch genug erscheinen, nicht dazu dienen dem eigenen rassistischen Hass nachzugehen, sondern würde nur den Betroffenen helfen in ihre „natürliche“ Umgebung zu gelangen, in der es ihnen besser gehen würde.

Das Offensichtliche wird wenige Zeilen später noch einmal überdeutlich. Die IG propagiert offensiv die zutiefst rassistische Idee eines „Volkstods“, nach der das „deutsche Volk“ aussterben würde, weil es durch zu viele genetische und kulturelle Einflüsse von „außen“ „überfremdet“ würde. Neben vielen Veröffentlichungen zu diesem Thema war der gemeinsame Besuch eines Aufmarschs der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) zum Thema „Volkstod“ im Oktober 2012 in Wismar eine der ersten Aktionen der damals noch jungen Kameradschaft.


Offener Rassismus: Lüneburger und Ostholsteiner Neonazis in Hamburg

Organisation und Kommunikation
Die IG verfügt über einen personellen Kern von ca.10 Personen, darin über ein Führungstrio, das alle wesentlichen organisatorischen und inhaltlichen Entscheidungen trifft. Fast alle Mitglieder der IG entstammen der Neonaziszene und sind auch über die IG hinaus in rechten Kreisen vernetzt. Einzige Ausnahme bilden, wie so oft in der sexistischen Normalität rechter Männerwelten, die Freundinnen der Protagonisten, die zum Teil innerhalb der IG aktiv sind, aber kaum Kontakte in die organisierte Rechte über die eigene Kameradschaft hinaus pflegen. Folglich endet deren Engagement meist mit dem Ende ihrer Beziehung. Über das Kernpotential hinaus sind über familiäre und persönliche Kontakte situativ weitere Personen durch die IG ansprechbar. Von dieser Möglichkeit macht die IG allerdings nur vereinzelt Gebrauch, denn größere eigene öffentliche oder halböffentliche Aktionen sind bislang ausgeblieben. Dementsprechend hat die IG den Charakter eines rechten Freundeskreises, der vor allem innerhalb des eigenen Umfelds agitiert.
Strukturell lebt die Arbeit der IG von der persönlichen Vernetzung des Führungstrios, bestehend aus Fabian Wittig, Ray Vogel und Marcel Schark. Treffen werden meist im privaten Kreis von diesen Personen organisiert. Für gemeinsame Fahrten zu Aktionen oder Treffen mit anderen Gruppen nutzen die Neonazis ihre privaten Fahrzeuge.

Personen
Programmatischer und strategischer Kopf der Kameradschaft ist Fabian Wittig (Lensahn). Wittig ist seit Jahren vernetzt in der neonazistischen Szene Schleswig-Holsteins. So war der 2011 Teil der Abordnung aus Schleswig-Holstein, die das „Pressefest“ des NPD-Parteiorgans „Deutsche Stimme“ besuchte. Zusammen mit u.a. Jens Lütke, Hermann Gutsche und Miriam Haack trank er in bierseliger Atmosphäre mit NPD-Größen wie Holger Apfel und Frank Rennicke. 2012 trat er für die NPD zu den Landtagswahlen im Wahlkreis Lübeck-Ost an. Ziemlich nahtlos an das Scheitern der NPD bei der Landtagswahl und den immer weiter fortschreitenden Zersetzungsprozessen verlagerte Wittig seinen politischen Schwerpunkt in Richtung der „Identitären“, nicht ohne der klassischen Neonaziszene treu zu bleiben. Teilnahmen an neonazistischen Aufmärschen wie in Hamburg am 2. Juni 2012 und in Wismar am 20. Oktober 2012 zeugen davon. Auch eine persönliche Freundschaft stand dem Projekt IG Pate: Mit Jan Krüger aus Bardowick (nähe Lüneburg) kennt Wittig einen ehemaligen JN-Funktionär, der zur selben Zeit die gleiche Neuorientierung durchlief. Seit dieser Zeit tingeln Wittig und Krüger gemeinsam durch (neu)rechte Kreise und versuchen sie für ihren poppigen „neuen“ Neonazismus zu gewinnen.

Zweiter Aktivposten der IG ist Ray Vogel (Eutin). Ursprünglich aus Bad Liebenwerda im südlichen Brandenburg stammend, fällt Vogel seit Jahren im Umkreis von Eutin in der Neonaziszene auf. Insbesondere seine Kontakte zu der inzwischen aufgelösten „Aktionsgruppe Eutin“ um Sebastian Alexander Struve verschafften der IG schnell eine strukturelle und personelle Kontinuität. Gerade nur sporadisch aktive oder jüngere Mitglieder standen nach dem Niedergang der „Autonomen Nationalisten” ohne Organisationsstruktur da. Der Weg in die biedere Parteiarbeit schien zum einem wenig attraktiv und zum anderen hatte der jahrelange Konfrontationskurs zwischen Struve und Teilen der NPD den Weg für die Neonazis aus Eutin und Umgebung nicht gerade geebnet. Vogel und Wittig gelang es, dieses Potential mit dem neuen Label eines Rechtsauslegers innerhalb der „Identitären Bewegung“ zumindest teilweise zu nutzen. Innerhalb der IG ist Vogel vor allem für die in der Neuen Rechten typische omnipräsente virtuelle Ausschlachtung in den sozialen Netzwerken zuständig. Oft in Koproduktion mit Marcel Schark erstellt Vogel Videos und Bilder von gemeinsamen Aktionen, meist in heroischem Stil aufbereitet. So wird ein nachmittäglicher Spaziergang durch die holsteinische Provinz schnell als draufgängerischer Kampf einer rebellierenden Jugend gegen die „moderne Welt“ präsentiert. Um der Gruppe zumindest ein wenig inhaltliche Tiefe zu verleihen, durchforstet Ray Vogel in seiner Freizeit das Internet nach Texten, die irgendwie in das rassistische Profil der IG passen und teilt diese in sozialen Netzwerken. Auch wenn Wittig mit seinen vermeintlich visionären Grundsatztexten versucht, das Profil zumindest etwas zu schärfen, bleibt ein eher wirres Bild von Menschen stehen, die sich in einem ständigen rassistisch motivierten Abwehrkampf wähnen. Eigene Aktionen werden dabei maßlos überhöht und Endzeitstimmung ob des Fortbestands des „Deutschen Volkes“ verbreitet, das wahlweise von „Dekadenz“, „Homo-Ehe“, „Islamisierung“, „Gender-Ideologie“ oder auch der „Kosmetikindustrie“ bedroht würde.


Ray Vogel

Als dritte Führungsperson tritt Marcel Schark (Süsel) auf. Der ursprünglich aus Lütjenburg (Kreis Plön) stammende Schark bestimmt zwar das Bild der Gruppe nicht so entscheidend wie Fabian Wittig und Ray Vogel, leistet aber seit Jahren kontinuierliche Hintergrundarbeit in der Neonaziszene. Innerhalb der IG ist er bei fast jedem Treffen und gemeinsamen Aktionen dabei. Außerdem betreut er die Internetseite der Gruppe.

Neben diesen Führungsfiguren verfügt die Kameradschaft über weitere Mitglieder, meist aus der Gegend um Eutin, vereinzelt aber auch aus anderen Teilen Ostholsteins. Einige von besonderem Interesse seien hier noch kurz vorgestellt.
Mit Tobias P. verfügt die Gruppe über einen eigenen (Freizeit-)Tätowierer. Neben Tattoos entwirft P. auch Wandlogos für die Gruppe. Schon in seiner Geburtsstadt Bützow (Mecklenburg-Vorpommern) gehörte er der Neonaziszene an und pflegt immer noch rege Kontakte dorthin. In den letzten Jahren fiel er immer wieder im Zusammenhang mit neonazistischen Aktivitäten rund um die Kameradschaftsszene seines aktuellen Wohnorts Eutin auf.
Tobias J. (Eutin) gehört zwar nicht zu den aktivsten Mitgliedern der IG, ist aber schon so etwas wie ein Kontinuum für die örtlichen Neonazis. Schon zu der Hochzeit der „Autonomen Nationalisten“ um Sebastian Struve agierte er unter dem selbstgegebenen Spitznamen „Bird“ als rechte Hand des Kameradschaftsführers. In dieser Rolle war er mutmaßlich an den Anschlagserien auf politische Gegner_innen in Eutin beteiligt .
Zwei langjährige Aktivisten der IG sind der früher in Bad Malente-Gremsmühlen wohnhafte, inzwischen nach Veitsteinbach (Hessen), verzogene Ive „Ecki“ E. und der Eutiner Christopher W., gebürtig aus Rubkow (Mecklenburg-Vorpommern). Sie sind, oft gemeinsam, bei vielen Aufmärschen der Rechten präsent und auch für viele interne Angebote der neonazistischen Szene zu begeistern. Auch wenn beide bis jetzt keine inhaltlichen oder organisatorischen Führungsrollen übernommen haben (und es vermutlich auch nie werden), stellen beide das „Fußvolk“, das sich von neonazistischen Lebenswelten angezogen fühlt und genügend indoktriniert ist, um kontinuierlich an Aufmärschen, Übergriffen und Kameradschaftsabenden teilzunehmen.
Neben Fabian Wittig ist vor allem Pascal B. (Oldenburg i.H.) eine wichtige Vernetzungsfigur der IG in Richtung der durch „Blood and Honour“-Strukturen geprägten Neonazis aus dem nördlichen Ostholstein. Der Kung-Fu-Kämpfer B. bewegt sich seit Jahren im Umfeld der dortigen Funktionäre um Lars Bergeest (Cismar) oder Marco Eckert (Grube) und nimmt mit ihnen zusammen an Veranstaltungen der rechten Szene teil. Trotz der Kontinuität dieser Kontakte in militante Neonazistrukturen engagiert sich auch B. in der, doch angeblich dem Neonazismus abgeschworenen, IG. Ein weiterer Beweis, dass die Distanzierung inhaltlich bedeutungslos ist.


Rechte Lagerfeuerromantik bei der IG

Aktionen und Vernetzung
Die IG vernetzt sich in verschiedene Bereiche sowohl der neonazistischen Rechten als auch in neurechte Kreise. Neben freundschaftlichen Kontakten nehmen auch immer wieder IG-Aktivist_innen an verschiedenen Veranstaltungen auf nationaler und internationaler Ebene teil. Hier eine kleine Auswahl.
Am 20. Oktober 2012 beteiligten sich u.a. Ive E., Tobias P., Christopher W., Ray Vogel, Pascal B., Tobias J., Marcel Schark und Fabian Wittig an einem Aufmarsch der JN in Wismar. Der Aufmarsch wurden von großen Teilen der Kameradschaftsszene aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und weiteren Bundesländern besucht. Inhaltlich bediente er die biologisch-rassistische Idee eines angeblich bevorstehenden „Volkstods“. Eine ähnliche Abordnung der IG war schon wenige Monate zuvor auf dem „Tag der deutschen Zukunft“ am 2. Juni in Hamburg zu sehen. Während sich Neonazis, die jetzt in der IG organisiert sind, bis 2012 relativ regelmäßig in Norddeutschland an Aufmärschen beteiligten (z. B. die jährlichen „Trauermärsche“ in Lübeck), verirrten sie sich in der Folge nur noch vereinzelt zu Kundgebungen oder Demonstrationen wie z. B. Ive E. am 23. März 2013 in Güstrow oder am selben Tag in Hamburg-Horn u.a. Fabian Wittig, Ray Vogel und Christopher W. zu einer Kundgebung gegen eine Moschee, initiiert von Stephan Buschendorff (Lübeck). Nur das Aufflammen von „PEGIDA“ konnte die Begeisterung der IG für Demonstrationen zumindest vorübergehend wieder wecken. Getreu ihrer politischen Agenda beteiligten sie sich an „MVGIDA“, dem explizit neonazistischem Ableger von „PEGIDA“ in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Schwerpunkt der Arbeit der IG verlagerte sich verstärkt in Richtung interner Veranstaltungen und Treffen innerhalb des eigenen Milieus. So versucht die IG seit mindestens Anfang 2013 einen nennenswerten Ableger der „Identitären Bewegung“ in Schleswig-Holstein zu gründen und neonazistisch zu beeinflussen. Zu diesem Zweck fanden u.a. im Januar 2013 und im Juli 2014 Vernetzungstreffen mit den weitgehend inaktiven anderen „Identitären“ Gruppen in Schleswig-Holstein statt. Auch in der neonazistischen Subkultur bewegen sich die „identitären“ Neonazis noch gern. So besuchten sie am 23. März 2013 nach dem Kundgebungsversuch in Hamburg-Horn ein Konzert von Lars Hildebrandt, neonazistischer Liedermacher aus Itzehoe. Rege Kontakte bestehen auch zu den Lüneburger „Identitären“ um Jan Krüger, mit denen gemeinsam Feiern, Reisen und sonstige Aktivitäten unternommen werden.
Die IG, vor allem Fabian Wittig, versucht auch auf die deutschlandweite Entwicklung der „Identitären“ Einfluss zu nehmen. Neben dem Verfassen von Texten gehört dazu auch die Teilnahme an Veranstaltungen wie dem Treffen der „Identitären Bewegung Deutschland“ im April 2014 in Fulda.


Marcel Schark

Vereinzelt versuchen die Neonazis der IG ihr neues, vermeintlich bürgerliches Image zu nutzen, um im Sinne der klassischen Wortergreifungsstrategie in bürgerlich-konservative bis rechtspopulistische Kreise wirken zu können. So geschehen im März 2013, als Fabian Wittig und Ray Vogel einen Vortrag von Karl Albrecht Schachtschneider in Hamburg besuchten und diesen in Diskussionen verwickelten.
Lokal versuchen die Mitglieder der IG vor allem durch niedrigschwellige und auf den ersten Blick „unpolitische“ Veranstaltungen in ihrem sozialen Umfeld punkten zu können. So finden regelmäßig Grillfeiern, gemeinsame Ausflüge und Besäufnisse statt. Nach außen wird sich, wenn überhaupt, als „Kümmerer“ präsentiert, untermalt durch Aktivitäten wie gemeinsames Blutspenden.
Die IG strebt, vor allem in Person von Fabian Wittig, eine internationale Vernetzung an. Wittig besuchte 2013 und 2014 die „Université d’été Identitaire“ der „Génération Identitaire“ in Frankreich und war 2013 im Rahmen einer Europareise zusammen mit Jan Krüger zu Gast bei der neonazistischen „Casa Pound“ in Italien.

Ausblick
Die IG ist sicher keine besonders herausragende Gruppierung in der neuen Mischszene zwischen Konservativen, Neuen Rechten, Neonazis, Verschwörungstheoritiker_innen und weiteren rassistischen Akteur_innen. Doch sie stellt zumindest lokal eine Antwort der Neonazis auf die Krise der NPD und der klassischen Kameradschaften dar. Das inhaltlich völlig diffuse, fast schon wirre Bild, dass die IG hinterlässt, wird zwar für die „große Politik“ nicht reichen, allerdings können so lokal Menschen an rechte Kreise gebunden werden, die sich offen NS-nostalgischen Organisationen zunächst nicht anschliessen würden. Die propagierte Sorge um „Heimat“ und „Kultur“ wirkt insbesondere in konservativen Kreisen unverfänglich und eine soziale Ächtung muss weniger befürchtet werden als bei der offenen Neonaziszene. Die vielfältigen Bezüge zum (Neo-) Nationalsozialismus und gute Vernetzung zu offen auftretenden Neonazis könnten der IG die Rolle einer vermeintlich harmlosen Vorfeldorganisation zukommen lassen.
Der aktionistische Höhepunkt der IG scheint zwar überschritten und das Engagement insbesondere des Umfelds von den Protagonisten Fabian Wittig, Ray Vogel und Marcel Schark scheint nachzulassen. Nichtsdestotrotz hat gerade dieses Führungstrio über die Jahre Erfahrungen und Kontakte gesammelt. Vermutlich werden sie Menschen, die sich gegen rechte Umtriebe engagieren, noch öfter begegnen.


Vorläufer der IG: “Autonome Nationalisten” aus Schleswig-Holstein, u.a. die Führungspersonen Sebastian Alexander Struve (Eutin, hinten links), Alexander Jürgen Kuhr (Heide, rechts neben Struve) und Peter Borchert (Kiel/Neumünster, vorne 2. von rechts)

Brandanschlag von Escheburg offenbar teilweise aufgeklärt

Die Polizei hat im Zusammenhang mit dem Brand in einer Flüchtlingsunterkunft in Escheburg (wir berichteten ) einen Verdächtigen verhaftet. Der mutmaßliche Täter stammt aus der direkten Nachbarschaft und hat seine DNA an der Verschlusskappe des Brandsatzes und einem Streichholz hinterlassen. Strittig ist noch die Frage nach Mittäter_innen. Schließlich war der Verdächtige nach Medienberichten Teil einer Gruppe von rassistischen Anwohner_innen die massiv gegen die Unterkunft mobil gemacht haben. Direkt vor dem Brand soll er mit anderen den Bürgermeister bedrängt und danach mittags in der Wohnsiedlung das Haus angezündet haben. Außerdem war er Fraktionsmitglied in der “Escheburger Wählergemeinschaft”, der auch der Bürgermeister angehört. Trotzdem gehen die Behörden von der Einzeltäterhypothese aus, obwohl selbst die Polizei bemängelt, dass trotz einer Belohung von 10000 Euro keine brauchbaren Hinweise aus der Bevölkerung kamen.

Presseberichte: Spiegel Online , Lübecker Nachrichten 1 2 , Kieler Nachrichten 1 2 , SHZ 1 2 , NDR 1 2

Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Escheburg

Im schleswig-holsteinischen Escheburg bei Hamburg wurde am Montag ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft verübt. Kurz bevor die neue Unterkunft durch die künftigen Bewohner_innen bezogen werden sollte, gingen laut Presseberichten rassistische Anwohner_innen den örtlichen Bürgermeister an. Danach zogen sie zu der Unterkunft. Vermutlich kam es in diesem Zusammenhang zu einem ersten Angriff auf das Haus. Kurz nachdem die zwischenzeitlich eingetroffene Polizei die Örtlichkeit wieder verlassen hatte, warfen bisher unbekannte Angreifer_innen am hellichten Tag einen Brandsatz in das Gebäude. Dieses ist zunächst unbewohnbar. In Nachgang äußerten sich einige Anwohner_innen rassitisch gegenüber Pressevertreter_innen.

Ein unvollständiger Pressespiegel: NDR , NDR (Video) , Antifaschistische Initiative Kreis Pinneberg , SHZ (1) , SHZ (2) , SHZ (3) , Bergedorfer Zeitung , Lübecker Nachrichten , Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein