Rassistische Mobilisierung in Schleswig-Holstein


Thomas Wulff, Karl Richter und Jens Lütke (v.l.)

Obwohl seit mehr als einem Jahr in ganz Deutschland rechte Massenmobilisierungen zum Teil erfolgreich vor allem gegen Geflüchtete hetzen, blieb Schleswig-Holstein lange Zeit eine eigene „Gida“-Bewe­gung erspart. Zwar gab es vereinzelt Versuche, die „besorgten Bürger“ auch hier auf die Straße zu bringen, was vorerst jedoch keiner Gruppierung gelang.
Als im Oktober 2015 bekannt wurde, dass die bereits bestehende Unterkunft für Geflüchtete in Boostedt bei Neumünster erweitert werden sollte, kam es erstmals zu direkten Protesten der Anwohner*Innen gegen die Unterkunft. Von Anfang an beteiligten sich auch Neonazis, vor allem aus dem Spektrum der NPD. Als sich überraschend der Initiator der Mobiliserung, der Boostedter Versicherungsmakler Thorsten Gäbel, von der Initiative distanzierte, versuchten vor allem die NPD-Kader Mark Michael Proch aus Neumünster und Jörn Lemke aus Lübeck die aufgeheizte Stimmung zu nutzen und sich als Wortführer zu inszenieren . Trotz der für die Neonazis günstigen Ausgangslage gelang dies nicht. Der Protest verlief in den folgenden Monaten im Sande, was nicht zuletzt auch den Unterstützer*Innen vor Ort geschuldet ist, die der rassistischen Stimmung durch praktische Arbeit das Wasser abgruben.
Ein Versuch des NPD Kreisverbands Segeberg-Neumünster um Daniel Nordhorn aus der Situation in Boostedt doch noch Kapital zu schlagen, endete im Oktober in einer Niederlage, als sich kein*e einzige*r Anwohner*In zu der angemeldeten Kundgebung in Boostedt einfand und sich die fünf angereisten Neonazis mit starkem Gegenprotesten konfrontiert sahen . Diese Aktion ist beispielhaft für das aktionistische Potential der NPD in Schleswig-Holstein. Nach wie vor sind die meisten Kreisverbände inaktiv und nur der genannte Kreisverband Segeberg-Neumünster und die „JN-Nordland“ treten vereinzelt öffentlich auf. Meist wird dabei gar nicht erst versucht, eine öffentliche Mobilisierung zu erzielen. Für Aktionen wird intern geworben und diese dienen vorrangig der Vernetzung und dem eigenen Zusammenhalt, jedoch weniger der öffentlichen Wahrnehmbarkeit. Entsprechend gelingt es der NPD in Schleswig-Holstein bislang nicht, aus dem aktuellen gesellschaftlichen Rechtsruck politisches Kapital zu schlagen.

Auch in Schleswig-Holstein haben sich in den vergangenen Monaten unzählige „XY-wehrt sich“ Gruppierungen gegründet. Zwar kommen die meisten bislang nicht über ihre Hetze im Internet hinaus, zumindest zwei Gruppierungen ist allerdings der Schritt auf die Straße gelungen. Am erfolgreichsten agiert zur Zeit „Neumünster wehrt sich“. Die Gruppe wurde in sozialen Netzwerken im Oktober 2015 gegründet. Erklärtes Ziel der Betreiber Manfred Riemke, Enrico Pridöhl, und Manuel Fiebinger war von Anfang an eine Kundgebung in Neumünster. Im November dann versuchten etwa 80 Rassist*Innen in Neumünster zu demonstrieren. Damit gelang den Initiatoren die erste ernstzunehmende Neonazidemo seit dem 1. Mai 2012 in Schleswig-Holstein. Die NPD rief nicht zur Teilnahme an der Demonstration auf und stritt im Vorfeld ab, an der Organisation beteiligt zu sein. Trotzdem liessen sich u.a. der Neumünsteraner Ratsherr Mark Proch und der Hamburger JN-Kader Lennart Schwarzbach vor Ort blicken. Neben dem unorganisierten Klientel der braunen Neumünsteraner Subkultur tauchten auch einige altbekannte Gesichter der schleswig-holsteinischen Neonaziszene auf. So trat der ehemalige Kopf der „AG Eutin“ Sebastian Struve, nachdem er lange Zeit nicht öffentlich in Erscheinung getreten war, am 14.11. äußerst selbstbewusst auf und übernahm zeitweise die Wortführerschaft über den Aufzug. Als Struves Handlanger und Ordner agiert der Plöner Neonazi Malte Magnussen. Auch Alexander Kuhr (Heide) und Thomas Krüger (Kiel) tauchten, ähnlich wie Struve, in Neumünster wieder aus der Versenkung auf.
Auch wenn die Demo kaum als Erfolg gewertet werden konnte, da sie bereits nach wenigen Metern von Antifaschist*Innen blockiert wurde , sah sich die Szene dennoch in ihrem Vorhaben bestärkt und kündigte eine zweite Veranstaltung an. Vermutlich um eine erneute Blockade und einen Rechtsstreit mit den Behörden zu vermeiden, wurde diese als stationäre Kundgebung am 16.01.2016 in der abgelegenen Böcklersiedlung in Neumünster abgehalten. Für die eigentlich gewünschte, öffentliche Wahrnehmung ein denkbar schlechter Ort. Gleichzeitig wurde allerdings allerlei braune Politprominenz nach Neumünster gekarrt. Als Hauptredner trat der Münchener Stadtrat und NPD-Mitglied Karl Richter auf. Auch Thomas Wulff reiste aus Teldau (Mecklenburg-Vorpommern) an. Da es den Initiatoren erneut nicht gelang, im Vorfeld abseits der eigenen Social-Media-Gruppen zu werben, fanden sich auch beim zweiten Anlauf nur wenig mehr als 80 Neonazis ein . Damit blieb die Teilnehmerzahl deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück. Als Anlaufpunkt für die Teilnehmer*Innen diente die braune Szenekneipe „Titanic“, die auch einen Teil des Equipments zur Verfügung stellte.
In blinden Aktionismus verfiel während und nach dem ersten Rassist*Innen-Auflauf in Neumünster Michael Pagel. Während der Kundgebung stürmte er mit einer Eisenstange bewaffnet aus seiner Wohnung und griff zwei Pressevertreter*Innen an. Derart beflügelt rief er kurz darauf die Initiative „Schleswig-Holstein wehrt sich“ ins Leben. Nach massiven Anfeindungen aus der Neonaziszene, vor allem durch Sebastian Struve und Malte Magnussen, zog sich Pagel schnell wieder aus der Gruppe zurück und überließ Enrico Pridöhl und Patrick Schallat (Pinneberg) das Ruder. Die riefen für den 09.01. zu einer Demonstration in Boostedt auf. Pridöhls Faible für gescheiterte Demonstrationen ist hinlänglich bekannt , Patrick Schallat nutzte die Kleinstkundgebung um ganze elf Kamerad*Innen mit Ausführungen zu seiner kruden Weltsicht zu langweilen . Auch Pagel hielt sich am 09.01. zwar in Boostedt auf, nahm aber nicht an der Demonstration teil. Mittlerweile scheint er neben Pridöhl auch wieder der für Initiative Verantwortliche zu sein, allerdings ohne weitere öffentliche Auftritte zu planen.

Die inhaltliche Positionierung der Neumünsteraner Naziclique beschränkt sich auf die agressive Verbreitung „asylkritischer“ Beiträge und das Dreschen stumpfer Naziparolen. Vor allem Letzteres und die klare Zuordnung der Protagonisten ins Neonazimilieu dürfte bislang dafür gesorgt haben, dass der Anschluss an ein nach außen moderateres Spektrum á la PEGIDA oder AfD bislang nicht gelang.
Auch wenn offizielle Parteiorgane bislang nicht öffentlich zu den Kundgebungen aufgerufen haben, ist die Nähe zur NPD, sowohl inhaltlich als auch personell, offensichtlich. Die „Distanzierungen“ der NPD folgen viel mehr dem strategischen Kalkül, mit einer scheinbaren überparteilichen Gruppierung, mehr Rassist*Innen zu mobilisieren, was offenbar den Geschmack der Szene trifft. Sowohl unter den Teilnehmer*Innen als auch im Kreis der Organisatoren finden sich etliche Gesichter, die nicht in der NPD organisiert sind. Genauso vertreten sind allerdings Mitglieder der NPD. Von Anfang an beteiligt an der Organisation war der Neumünsteraner Ratsherr Mark Proch. Dass mit Wulff und Richter zwei prominente Kader als Redner auftraten, dürfte ebenfalls dem Einfluss der Partei geschuldet sein. Spätestens auf der zweiten Kundgebung tummelten sich auch etliche Neonazis aus dem Umfeld der NPD wie Jens Lütke oder Marc-Richard Tenten um nur zwei Beispiele zu nennen. Dass vor allem die Gruppierung „Neumünster wehrt sich“ ein längerfristiges Engagement plant, ist wahrscheinlich. Neben weiteren Kundgebungen,wurde die Gründung eines Vereins angekündigt.

Auch wenn sich in Schleswig-Holstein bislang keine Massenmobilisierung abzeichnet, ist doch eine Konsolidierung der rechten Szene zu beobachten. Der Hass, der Geflüchteten und ihren Unterstützer*Innen in den Kommentarspalten nicht nur rechter Medien entgegenschlägt, die anfängliche breite Hetze in Boostedt und nicht zuletzt mehrere Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte lassen kaum einen Zweifel, dass das rassistische Potential auch in Schleswig-Holstein besteht. Um den braunen Mob zu mobilisieren, fehlte es bislang an Organisation. Eine Aufgabe, an der die NPD in den vergangenen Jahren konsequent scheiterte. Die Reorganisation etablierter und vor allem gut vernetzter Kader auch abseits der NPD könnte diese Plattform bieten.

In den nächsten Tagen erscheint ergänzend ein Portrait einiger Protagonist*Innen von „Neumünster wehrt sich“. Besucht unseren Blog.