Von geliebten und ungeliebten Neonazis – Hintergründe zum rechten “Lesertreffen” in Zeulenroda-Triebes


Der Veranstaltungsort des “Lesertreffens” 2015: Das “Bio-Seehotel Zeulenroda”

Vom 6. – 8. März fand im thüringischen Zeulenroda-Triebes das “Lesertreffen” des “Deutschen Nachrichtenmagazins Zuerst!” statt. Die schleswig-holsteinische Verlagsgruppe “Lesen & Schenken” des Neonazis Dietmar Munier konnte ca. 400 Gäste zu diesem, für die äusserste Rechte bedeutenden, Treffen mobilisieren. Doch neben aller vereinten deutschtümelnden Herrlichkeit von Neonazis, Faschist_innen, Rassist_innen, Militarist_innen und vermeintlich “Vertriebenen” aller Coleur, droht der traditionellen Veranstaltung des Martensrader Verlagshauses Ungemach aus verschiedenen Richtungen. Nicht bloß in Form gesellschaftlichen Gegenwinds; auch neonazistische Szenekonflikte scheinen den Nimbus des vermeintlich alle erzreaktionären Strömungen zusammenführenden Patriarchen Munier zu beschädigen. Wir möchten in diesem Artikel aufbauend auf einen vorangegangenen Text einige aktuelle Entwicklungen und Hintergründe beleuchten.

Veranstalter_innen
Die Veranstaltung in Zeulenroda-Triebes wurde als “Lesertreffen” der rechten Zeitschrift “Zuerst!” beworben. “Zuerst!” wird von der “Lesen & Schenken”-Verlagsgruppe von Dietmar Munier herausgegeben. Neben diesem Magazin werden in dem in Martensrade (Kreis Plön) beheimateten Verlagshaus verschiedene weitere Publikationen verlegt, beispielsweise die sich vor allem an die “Vertriebenen”-Szene richtende Zeitung “Der Schlesier” oder die “Deutsche Militärzeitschrift” für Militarist_innen. Außerdem gehören in Muniers geschäftlichen Einflussbereich noch diverse kleinere Verlage und Handel mit allerlei Devotionalien. Alle eint die zum Teil neurechte, zum Teil neonazistische Ausrichtung.
Der 61-jährige Dietmar Munier selbst entstammt der völkischen Neonaziszene. Auch wenn er nie Berührungsängste in Richtung NPD, JN, Neuer Rechten oder zu konservativen Kreisen aufwies, ist die erkennbare Konstante in Muniers politischem Wirken der klassische, durch “Blut und Boden” legitimierte (Neo-)Nationalsozialismus. Ob der gemeinsame Buchladen mit dem Auschwitz-Aufseher Thies Christophersen, die führende Rolle in der völkischen Jugendarbeit um “Die Heimattreue Jugend”, “Bund Heimattreuer Jugend” und “Heimattreue Deutsche Jugend”, der gute Kontakt zu den SS-Veteranenverbänden oder die vielfältigen Initiativen zur “Wiederansiedlung” von vermeintlichen “Deutschen” im heutigen Russland: Muniers Neonazismus wird zwar modern präsentiert, orientiert sich aber an den klassischen Leitlinien der NS-Zeit. Vor diesem Hintergrund wirkt manche Neonazi-Postille aus dem Hause Munier geradezu harmlos. Dieser nach aussen teilweise “weichgespülte” Kurs von “Zuerst!” dürfte vor allem taktischer Natur sein. Munier hat erkannt, dass sich mit explizitem NS-Habitus kein Geld verdienen lässt, kaum neue Gesichter in die Szene kommen und die Herausgeber_innen oftmals wegen Volksverhetzung vor Gericht landen. Stattdessen wählt Munier den Weg, zumeist nur rechte Konsens-Themen wie Militärismus oder Rassismus zu bedienen. Eigene differenzierte Positionierungen fehlen oft. “Zuerst!” versucht in diesen Fällen der Gesellschaft lediglich den braunen Spiegel vorzuhalten, indem z. B. Meldungen aus bekannten Presseorganen rassistisch und chauvinistisch umgedeutet werden. Wenn sich allerdings einmal offen positioniert wird, kommt es wie erwartet. Holocaust-Leugner_innen wie David Irving dürfen ihre Theorien genauso unters Volk bringen wie Heinz Magenheimer seine “Präventivkriegs”-Thesen oder die italienische “Casa Pound” ihren Neonazismus.
Der aktuelle Chefredakteur und neben Munier der zweite Hauptverantwortliche für das “Lesertreffen” ist der Berliner Manuel Ochsenreiter. Ochsenreiter pflegt rege Kontakte in die Neue Rechte, insbesondere zur “Identitären Bewegung” und zu burschenschaftlichen Kreisen. Doch bei dem Thema offener Antisemitismus, der Streitfrage zwischen eher “rechtspopulistisch” und neonazistisch geprägten Rechten, erhält Ochsenreiter das klassische Feindbild der Neonazis. In seinem Antisemitismus schmiedet er auf den ersten Blick skurrile Allianzen, sei es mit Despoten und Islamist_innen im Nahen Osten oder mit der Kreml-Presse. Gerade in Russland ist er für staatliche oder staatsnahe Medien ein deutscher “Experte”, der regelmäßig über mangelnde “Meinungsfreiheit” in Deutschland zu berichten weiß. Dass sein Verleger Dietmar Munier wegen seinen neonazistischen Aktivitäten in Russland schon lange mit einem Einreiseverbot belegt ist, tut der unheiligen Zweckgemeinschaft keinen Abbruch. Ochsenreiter genießt die Möglichkeit, seine Thesen von “kontrollierten Medien” und vermeintlich lenkenden Hintergrundstrukturen vor einem großen Publikum zu präsentieren und der Kreml bekommt die erhofften antieuropäischen Statements.
Das Martensrader Verlagsgeflecht ist jedoch nicht nur ein Verlags- und Handelshaus. In Schleswig-Holstein ist es ein zentraler Ort für rassistische und neonazistische Politik. Die Liste ist lang, beispielsweise dient das Martensrader Anwesen während der Wahlkämpfe als Materiallager für die NPD (deren ehemaliger Landesvorsitzender Jens Lütke praktischerweise gleich dort Mitarbeiter ist), finden Sonnenwendfeiern mit Neonazi-Prominenz statt , werden die Osteuropa-Aktivitäten der deutschen Neonazis koordiniert und nicht zuletzt verschiedenen Akteur_innen der rechten Szene die Möglichkeit gegeben, mit ihrer Weltanschauung Geld zu verdienen. Die organisatorische Schwäche der NPD- und Kameradschaftsstrukturen im Norden lässt wichtige aktuelle Aufgaben zum Teil auf das Unternehmen “Lesen & Schenken” übergehen. So wurde der Bus, mit dem Neonazis aus Schleswig-Holstein und Hamburg am 19. Januar 2015 zu PEGIDA nach Dresden fuhren, aus Martensrade organisiert. Auch wenn öffentlich Zurückhaltung geübt wird, macht in der Neonaziszene die Runde, dass Jens Lütke und Sebastian Pella, früher JU-Funktionär und jetzt Angestellter von Munier, maßgeblich ihre Arbeitszeit im “Lesen & Schenken”-Verlag nutzten, um die Busfahrt auszurichten.


Sebastian Pella (mitte) 2011 auf einem Grillfest der Jungen Union in Biebesheim am Rhein (Hessen)

Vorgeschichte “Lesertreffen”
Das “Lesertreffen” fand bisher in Kombination mit der Jahreshauptversammlung des “Schulvereins zur Förderung der Russlanddeutschen in Ostpreussen” statt, einem Zusammenschluss mit gebietsrevisionistischen Bestrebungen im russischen Kaliningrad. Gründungsvater des Vereins ist Dietmar Munier , langjähriger Vorsitzender Henning Pless, ein Munier-Vertrauter aus Zeiten der “Heimattreuen Jugend” . Pless war hauptverantwortlich für die Planung der jährlichen Zusammenkünfte. Über die Jahre kam ein illustrer Kreis an Referent_innen und Besucher_innen zusammen. Verschiedene reaktionäre Strömungen wurden u.a. vertreten von Götz Kubitschek (Vordenker der Neuen Rechten), Horst Mahler (bekannter Holocaust-Leugner), Abdallah Melaouhi (Krankenpfleger von Rudolf Heß, der die Mordthese der Neonazis stützen soll), Ulrich Pätzold (NPD), Baldur Springmann (Wehrmachtsveteran und Vordenker der esoterisch-ökologischen Rechten, inzwischen verstorben), Klaus Hornung (CDU), Franz Wilhelm Seidler (Militarist) oder Barnabas Bödecs (Jobbik-Partei aus Ungarn).
Diese einträchtigen (und auch einträglichen) Vernetzungen des rechten Spektrums bekamen erst im letzten Jahr einem Dämpfer. Nachdem in den Jahren zuvor das Treffen in Pommersfelden (Bayern) stattfand, mussten die Neonazis 2013 erstmals nach Oberwiesenthal (Sachsen) ausweichen. In der Folge sei, laut Mitteilung der Neonazis, der Druck auf den Betreiber des Hotels in Oberwiesenthal zu groß geworden und der Veranstaltungsort stünde nicht mehr zur Verfügung. Doch wie so oft ist das nur die halbe Wahrheit. Mit Henning Pless geriet der Hauptorganisator in Kiel, wo dieser eine Heilpraxis betreibt, unter gesellschaftlichen Druck und stand in der Folge nicht mehr als Strippenzieher zur Verfügung. Zwar konnte der “Schulverein” Anfang 2014 mit Genrih Grout (Berlin) einen Nachfolger für den Vereinsvorsitz finden, allerdings war es da für die Organisation eines erneuten “Lesertreffens” für das Jahr 2014 schon zu spät.

“Lesertreffen” dieses Jahr
Grund genug für Dietmar Munier und Manuel Ochsenreiter dieses Jahr mit einer gewissen Dramatik die Werbetrommel für das “Lesertreffen” zu rühren. Auf der einen Seite priesen sie in höchsten Tönen die Veranstaltung und das zugehörige Hotel “Bio-Seehotel Zeulenroda” an, auf der anderen Seite beschwerte sich der Millionär Munier über die ausbleibenden Gäste bei der letzten Veranstaltung und angebliche wirtschaftliche Nachteile. Seinen potentiellen Gästen drohte er, “[w]enn ihr nun nicht in massiver Zahl erscheint, dann sind diese Tagungen mausetot. Also, nicht über die politischen Verhältnisse jammern, sondern anmelden, mitmachen[…].” Inwieweit Muniers wirtschaftlicher Erfolg die bestehenden Verhältnisse gefährdet, mögen sich zwar Beobachter_innen fragen, aber die Stammklientel parierte und ca. 400 Gäste zahlten die 227- 279 Euro Gebühr.
Neben der Jahreshauptversammlung des “Schulvereins” und verschiedenen folkloristischen Programmpunkten sollten sich wieder einmal diverse rechte Referent_innen die Klinke in die Hand geben. Doch es kam erneut anders. Akif Pirinçci (geplantes Vortragsthema: “Wenn Minderheiten die Mehrheit dominieren: Von Homoehe bis Multikulti”), James Bacque (“Vor 70 Jahren: Der Massenmord in den Rheinwiesenlagern”) und Walter Post (“Der erste unnötige Krieg: Die Ursachen des Ersten Weltkriegs”) erschienen gar nicht erst, Alexander Dugin (“Rußland und der Ukraine-Konflikt: Den Zwängen der Geopolitik kann sich niemand entziehen”) wurde mangels Ausreisegenehmigung durch Russland per Videoschaltung präsentiert. Für die ausgefallenen Vorträge sprangen Gerd Schultze-Rhonhof (Geschichtsrevisionist und ehemaliger Generalmajor der Bundeswehr) und Alfred Zips (ebenfalls Geschichtsrevisionist aus den Reihen der Bundeswehr) ein. Außerdem referierten während des “Lesertreffens” noch Menno Aden (“Feindliche Verwandtschaft: Deutsche Fürsten auf fremden Thronen”), Klaus Ulrich Hammel (“Schicksalsjahr 1945: Der Untergang Ostpreußens”), der “Zuerst!”-Autor Jan von Flocken (“Der eiserne Kanzler: zum 200. Geburtstag von Otto von Bismarck”) und die FPÖ-Funktionärin Barbara Rosenkranz (“Europa fördern, EU zähmen, Euro stoppen”).
Insbesondere der geplante Vortrag von Alexander Dugin sorgte im Vorfeld für Aufsehen. Politiker_innen forderten ein Einreiseverbot für ihn und Manuel Ochsenreiter versuchte diese Vorgänge propagandistisch zu nutzen. Insgesamt zeigt die Personalie Dugin die Absurdität des Nationalismus. Während Dugin sich für ein grossrussisches Reich einsetzt, ist sein (verhinderter) Gastgeber und geistiger Verwandter Munier in Russland genau deshalb mit einem Einreiseverbot belegt, da er zugunsten von grossdeutschen Fantasien russische Gebiete als “deutsch” beansprucht.


Jens Lütke (ganz rechts) als Redner in Plön im März 2012, neben ihm Neonazis der Lübecker, Flensburger und nordfriesischen Neonaziszene, u.a. Arne Kaehne (Husum, ganz links) und Maik Matthiesen (inzwischen Jübek, links neben Lütke)

Eklat um Ursula Haverbeck-Wetzel
Ursula Haverbeck-Wetzel, die bekannte Holocaust-Leugnerin und Witwe des Reichsleitung der NSDAP-Mitglieds Werner Georg Haverbeck aus Vlotho (Nordrhein-Westfahlen), erschien mit einigen Teilnehmer_innen aus dem Umfeld der Partei “Die Rechte” ebenfalls zum diesjährigen “Lesertreffen”. Zum Eklat kam es, als Munier Haverbeck-Wetzel der Veranstaltung verwies. Nach einigen Diskussionen verlies sie mit ihren Anhänger_innen Zeulenroda-Triebes unverrichteter Dinge. Allerdings schlug der Vorfall hohe Wellen in der Neonaziszene. Die emsige ehemalige “Collegium Humanum”-Aktivistin geniesst auch in aktionistischen Gruppen hohes Ansehen. Folglich waren die (virtuellen) Reaktionen der Neonazis heftig. Von einer “Affenschande” und dem “Schwein” Munier war die Rede. “Die Rechte” aus Verden äusserte gar, dass Dietmar Munier nichts mehr in der “Bewegung” verloren habe.
Klar ist, dass der Rauswurf keine inhaltlichen Gründe hat. Munier hat nie die Nähe zu Altnazis und Holocaustleugner_innen gescheut. Allerdings dürfte das provokante Vorhaben von Haverbeck-Wetzel, auf der Veranstaltung für die Unterstützung angeklagter KZ-Aufseher_innen zu werben, die Veranstalter_innen in eine missliche Lage versetzt haben. Ein derart offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus könnte sowohl die Vertreter_innen der Neuen Rechten, als auch die Hotelleitung dazu nötigen, der Veranstaltung ihre Unterstützung zu versagen. Damit wäre allerdings eine Veranstaltung dieser Grössenordnung undenkbar. Muniers Entscheidung, sich bei drohenden öffentlichen Skandalen gegen die “Bewegung” zu entscheiden, interpretieren manche Neonazis als “Geschäftemacherei”. Eine Einschätzung, die bei einer Bilanzsumme allein für den “Lesen & Schenken”-Anteil seines Vermögens 2013 von 1,225 Millionen Euro nachvollziehbar erscheint – gerade in Anbetracht der sonst eher schleppenden Aktivitäten der braunen Geschäftswelt.

Ausblick
Auch nächstes Jahr wird vermutlich wieder ein “Lesertreffen” stattfinden. Hans Bauerfeind, Betreiber des “Bio-Seehotels Zeulenroda”, soll sich angeblich schon positiv zu einer weiteren Zusammenarbeit geäussert haben. Allerdings wird Munier aller Voraussicht nach auch zukünftig auf Henning Pless verzichten müssen und sein Nachfolger Genrih Grout macht sich noch rar. Also wird den Neonazis vermutlich auch im nächsten Jahr der eine oder andere Fehler in der Planung unterlaufen. Aktuell bleiben dürfte der Konflikt zwischen Muniers angestammtem Umfeld, den völkischen Neonazis, und dem phasenweise neurechts angehauchten Auftritt des Martensrader Verlagshauses. Insbesondere bei Kernfragen wie dem Verhältnis zum Holocaust oder “Veteranen der Bewegung” wird “Verrat” bei neonazistischen Akteur_innen nicht akzeptiert.


Jan von Flocken posiert für ein Interview der “Deutschen Militärzeitschrift” mit Fahnen rassistischer Regime auf seinem Schreibtisch

One response to “Von geliebten und ungeliebten Neonazis – Hintergründe zum rechten “Lesertreffen” in Zeulenroda-Triebes”

  1. Eine Anmerkung zum letzten Absatz:

    Ich bin insbesondere Herrn Pless schon länger auf den Fersen und bin bei einem Blick ins Vereinsregister auch auf den Fantasienamen ‘Genrih Grout’ gestoßen, der internet-recherchemäßig ein Geist ist …

    Ich habe den Namen dann einfach einmal durch einen Anagramm-Generator gejagt und gedacht, ich spinne … die finden sich noch witzig, die Ratten … Also, der macht sich nicht nur rar, den gibt’s nicht …

    In diesem Sinne: ‘Genrih Grout’ = ‘Goering ruht’ … Ist sowas eigentlich erlaubt?

    VG
    P.A.