Flugblattaktion der Partei “Die Freiheit” in Pinneberg 2011
In den nächsten Wochen möchten wir in einer dreiteiligen Artikelreihe einen Überblick zu der Thematik des so genannten Rechtspopulismus und der Neuen Rechten in Schleswig-Holstein geben.
Situation
Die rechte Szene Schleswig-Holsteins befindet sich in einer Konsolidierungsphase. Bedingt durch die Schwächen der etablierten Strukturen bildet sich zunehmend eine Mischszene mit verschiedenen Aktions- und Organisationsformen. Welche Strömungen existieren und wie deren Chancen auf Hegemonie innerhalb der Rechten oder gar auf gesamtgesellschaftlichen Einfluss sind, möchten wir in unserer Artikelreihe aufzeigen und abschätzen. Dabei soll nun insbesondere auf rechtspopulistische bzw. kulturrassistische und neurechte Bestrebungen eingegangen werden, da wir die neonazistische Rechte, mit besonderem Fokus auf die NPD, bereits in einem früheren Leitartikel beleuchtet haben.
Unter Rechtspopulismus fassen wir dabei nach pragmatischen Gesichtspunkten jene Strömungen zusammen, die rassistische und (sozial-) chauvinistische Positionen als ihre wesentlichen identitätsstiftenden Merkmale begreifen, sich allerdings mehr oder weniger von dem klassischen völkischen Neonazismus abgrenzen. Zu betonen ist dennoch, dass einzelne Versatzstücke faschistoider Denkmuster oder persönliche Kontakte zu Neonazis eher die Regel als die Ausnahme darstellen.
Unter dem gemeinsamen Deckmantel des Kampfes gegen “Überfremdung” und “Identitätsverlust” finden sich heterogene Personengruppen und Strukturen zusammen, die gemeinsam gegen vermeintliche Verschwörungen der “Gutmenschen”, “Linken” oder Migrant_innen vorgehen. Fraglich ist, ob die Szene ohne vereinfachende Stilisierung eines gemeinsamen Feindes überhaupt Politikfelder finden würde. So sind die beiden “Divisionen” der “German Defence League” in Kiel und Lübeck grundverschieden, nur ihre positive Bezugnahme auf die Deutsche Nation und die Ablehnung bestimmter Minderheiten scheint verbindend zu wirken. Auch das restliche hier betrachtete Spektrum reicht von eher akademisch-bieder geprägten Mitgliedern bis hin zu aktionistischen Personenkreisen mit Kontakten zur neonazistischen Rechten.
Artikel
Das rechtspopulistische Spektrum in Schleswig-Holstein ist mehr von personeller als von struktureller Kontinuität geprägt. Viele Protagonist_innen sind in ihrer Vergangenheit schon bei anderen rechtspopulistischen Organisationen aktiv gewesen oder sind aus bürgerlich-konservativen bzw. neonazistischen Kreisen in die Szene eingestiegen. Dabei erwiesen sich die Organisationsnamen oft als austauschbare Labels, unter denen nach Reorganisationsprozessen firmiert wurde. Die Hoffnung mit neuen Namen und aufpolierten Konzepten auch über die bestehende Szene hinaus neues Mobilisierungspotential zu schaffen, erwies sich dabei meist als Trugschluss.
Trotz des teilweise regen strukturellen Wandels können wir verschiedene Strömungen anhand ideologischer, aktionistischer und sozialer Muster unterscheiden. Diese Kategorien sind dabei ebenso wenig trennscharf wie die Diffenrenzierung vom klassischen Neonazismus, sondern dienen lediglich der groben Orientierung und Übersichtlichkeit.
Insbesondere Thilo Sarrazins 2010 erschienenes Werk “Deutschland schafft sich ab” geriet innerhalb kürzester Zeit zur Steilvorlage für verschiedene Gruppierungen von bürgerlichen Parteien bis zur NPD. Doch während sich letztere Zusammenschlüsse meist nur gewisser Fragmente der rassistischen Thesen Sarrazins bedienten und die Gesamtheit seiner Theorien wahlweise als zu radikal oder nicht radikal genug ablehnten, gab es in einem anderen Spektrum einen regelrechten Wettlauf um den Status “der” Partei, “des” Internetportals oder “der” “Bürgerbewegung” zum Buch Sarrazins. Schnell wurde die Forderung nach einer starken “blauen Partei” laut, also einer kulturrassistischen, rechtspopulistischen Partei nach dem Vorbild der FPÖ in Österreich oder Vlaams Belang in Belgien. Im anschließenden zweiten Artikel unserer Reihe werden wir uns mit Parteien und sonstigen Organisationen aus diesem Lager beschäftigen.
In Artikel drei wird die akademische Rechte und rechte Publizistik dargestellt. Die Burschenschaften und ihr Umfeld stellen traditionell die personelle Basis für verschiedene rechte und rassistische Strömungen. Nahezu alle einschlägigen Organisationen haben Mitglieder von studentischen Verbindungen in ihren Reihen. Demnach kommt insbesondere den radikaleren unter den Burschenschaften, Corps und Landsmannschaften neben ihrem angestammten Wirken innerhalb akademischer Kreise auch immer eine wichtige Funktion als Sozialisierungspool für andere rassistische und neonazistische Strukturen zu. So sind viele Autoren rechter Publizistik Burschenschaftler. Insbesondere in Schleswig-Holstein weisen einschlägige Verlage vielfältige Verstrickungen mit neonazistischen Kreisen auf, weshalb dieser Artikel sich auch zum Teil mit vergangenen Veröffentlichungen über die Neonaziszene überschneidet.
Die Darstellungen der Strukturen und Verstrickungen im Rahmen dieser Reihe sollen dem Versuch dienen, die derzeit viel diskutierten und in weiten Teilen dubios anmutenden Positionen der Neuen Rechten mit Bezug auf Schleswig-Holstein transparenter zu machen. Auch halten wir es für wichtig, sowohl die (zuweilen zweifelhafte) Abgrenzung zu als auch die Überschneidungen mit neonazistischen Gruppierungen herauszustellen.