Hafenstraße ’96 – Nichts & Niemand ist vergessen!

Am 18.1.1996 wurde das Asylbewerberheim in der Hafenstraße in Lübeck Ziel eines rassistisch motivierten Brandanschlags. 10 Menschen verloren ihr Leben in den Flammen. Nicht nur markierte dieser Tag einen weiteren Höhepunkt in der Serie rassistischer Pogrome des wiedervereinigten Deutschland, auch das anschließende Vorgehen der Behörden und das systematische Blockieren einer Aufklärung seitens offizieller Stellen war skandalös.

Im Zuge des Gedenkens möchten wir auf mehrere Veranstaltungen hinweisen:

06.01. Antifa-Café ab 14 Uhr, Thema: Brandanschlag: Hafenstraße 1996, Café Brazil/Walli
12.01. Infotisch ab 12 Uhr, Innenstadt/Breite Straße
18.01. Offizielles Gedenken an die Opfer des Brandanschlages, 14 Uhr, Hafenstraße
18.01. Film: “Tot in Lübeck”, Hintergründe des Brandanschlages 1996, 20 Uhr, VeB/Walli
18.01.-01.02. Ausstellung “Brandanschlag Hafenstraße 1996″, Café Brazil/Walli

Aufruf & weitere Informationen
Flyer zum Download (PDF)

Neuer Neonazi-Laden in Kiel?

Am Kieler Vineta-Platz eröffnete Anfang Dezember 2012 ein Geschäft mit Namen “PLS-Werkzeuge”. Vordergründig wirbt das Geschäft damit, ein “An- und Verkauf” zu sein und Schlüssel und Gravuren zu vertreiben. Wie ein tieferer Blick in das Sortiment bestätigt, handelt es sich dabei hauptsächlich um Einbruchswerkzeug und Bewaffnung. Aus antifaschistischer Perspektive verdächtig erscheint, dass die Betreiber des Ladens, soweit sie bekannt sind, sämtlich einer Melange aus militanter Neonazi-Szene und Rocker-Gruppierungen zugehören. Inwieweit das Geschäft auch zu neonazistischen Aktivitäten genutzt wird oder ob es nur profanen Profitinteressen dient, bleibt fraglich.

Das Geschäft

Wie erwähnt existiert das Geschäft in dem Ladenlokal erst seit kurzem, ist aber Teil eines Unternehmens, das abwechselnd unter “Polenschlüssel” oder “PLS-Werkzeuge” (PLS=”Polenschlüssel) firmiert. Dieses Unternehmen wird schon seit mehreren Jahren von Neonazis aus Schleswig-Holstein betrieben .

Unter dem rassistischen Firmennamen versuchten sie bisher lediglich über das Internet Geld mit dem Verkauf von Einbruchswerkzeug zu verdienen. Seit neuestem ist auch das Ladenlokal im Kieler Stadtteil Gaarden dazugekommen. Konkrete neonazistische Bezüge werden versucht aus dem Unternehmen heraus zu halten. Sicherlich um zum einen das Geschäft nicht zu schädigen und um zum anderen das Bedürfnis nach “unpolitischem” Auftreten des (zwischenzeitlich verbotenen) Neumünsteraner “Bandidos”-Chapters zu befriedigen, das an den Geschäften über seine Mitglieder Alexander Hardt und Peter Borchert partizipiert. Dieses gelang nur mäßig, schließlich ist eine der Adressen des Unternehmens jene des neonazistischen Lokals “Club88” (“88” steht für “Heil Hitler”) in Neumünster und es sind alle bisher bekannten Betreiber Neonazis, die ohne Ausnahme in gewaltbereiten Strukturen organisiert sind oder waren.
Ob die Eröffnung des Geschäfts in Kiel ein Erfolg wird bleibt abzuwarten. Neben möglichen antifaschistischen Protesten gilt Kiel als Hochburg der “Hells Angels” und damit der direkten Konkurrenz der “Bandidos”. Außerdem haben auch staatliche Organe die Rocker-Gruppierungen zuletzt verstärkt mit repressiven Maßnahmen bekämpft.

Die Akteure


Peter Borchert in Kutte

Bekannt als Betreiber von “PLS-Werkzeuge” sind bis jetzt drei Personen. Die wohl bekannteste Persönlichkeit, die mit dem neuen Geschäft in Kiel assoziiert wird, ist Peter Borchert. Nachdem mit ihm als Landesvorsitzendem zunächst die militanten Neonazi-Strukturen den Landesverband der NPD “übernahmen”, baute Borchert ab 2007/2008 maßgeblich Gruppierungen im Stil der “Autonomen Nationalisten” in Schleswig-Holstein mit auf, allen voran die “AG Kiel”. Diese trat bis in das Jahr 2010 vor allem durch militante Übergriffe verschiedenster Art in Erscheinung. Dieser Gruppierung können auch mutmaßlich die Schüsse auf die Alte Meierei zugeordnet werden .


Graffiti mit “Blood and Honour”- und “C18”-Schriftzug von
Borchert und seiner Gruppe

Relativ schnell ergaben sich auch personelle Überschneidungen der militanten neonazistischen Gruppierungen und den sogenannten “Outlaw Motorcycle Gangs” (OMG), allen voran den “Bandidos”. Schwerpunkt dieser losen Zusammenarbeit waren die Städte Kiel und Neumünster. Auch wenn beide Seiten (OMGs wie neonazistische Zusammenhänge) stets ihre Unabhängigkeit voneinander betonten, waren die starken Verbindungen nicht zu übersehen. Eine der zentralen Figuren dieser Integration neonazistischer Akteure in Rocker-Gangs, und damit auch in die organisierte Kriminalität, ist Peter Borchert. Neben diversen Übergriffen im politischen Kontext ist Borchert u.a. wegen eines
Tötungsdelikts, gefährlicher Körperverletzung und 16-fachen Waffenhandels vorbestraft ,
was dazu führte, dass er ca. ein Drittel seines bisherigen Lebens in Haft verbracht hat. Aktuell verbüßt Borchert noch eine Haftstrafe, weil er zwei Mitglieder verfeindeter Rocker-Gruppierungen niedergestochen haben soll. Die Haftstrafe läuft im Jahr 2013 aus.
Politisch vertritt Peter Borchert den national-revolutionären Ansatz der “Autonomen Nationalisten”, vorbestraft ist er unter anderem auch im Zusammenhang mit militanten Aktivitäten des “Blood and Honour-Netzwerks” und dessen terroristischen Arms “Combat 18”.


Rascher Auszug Borcherts nach zahlreichen Protesten

Mit dem Stadtteil Gaarden in Kiel verbindet Peter Borchert schon eine längere Geschichte. Borchert führte bereits mehrere Versuche durch, in dem Stadtteil Fuß zu fassen, unter anderem durch einen Umzug nach Gaarden und dem Aufbau einer neonazistischen Wohngemeinschaft. Diese Versuche scheiterten am Widerstand antifaschistischer Aktivist_innen . Insofern könnte die Beteiligung Borcherts an dem neuen Geschäft in Gaarden durchaus eine persönliche Note für ihn haben.
Seine genaue Rolle in dem Geschäft ist aufgrund seiner andauernden Inhaftierung noch nicht absehbar. Allerdings stellt allein die Tatsache, dass er offen auf dem Schild des Ladens firmiert eine unverhohlene Provokation dar. Schließlich hat er im Laufe der Jahre diverse Anfeindungen in Kiel provoziert. Neben Konflikten mit Antifaschist_innen hat Borchert inzwischen vier Mitglieder der in Kiel dominant auftretenden “Hells Angels” und deren Unterstützergruppierungen niedergestochen. Also ist davon auszugehen, dass die Beteiligung Borcherts an dem Geschäft nicht nur der Knüpfung eines sozialen und finanziellen Netzes für die Zeit nach der Haft dient, sondern auch eine Kampfansage an seine bisherigen Gegner_innen darstellt.

Lars Bergest ist bislang spärlicher öffentlich in Erscheinung getreten, allerdings gilt dieser schon seit Jahren als ein Drahtzieher im “Blood and Honour-Netzwerk”. Der aus Ostholstein kommende Kader organisiert klandestin durchgeführte Rechtsrockkonzerte und pflegt gute Kontakte nach Skandinavien, vor allem nach Dänemark, wo er zwischenzeitlich lebte, und nach Schweden. So war er auch schon führend an schwedischen Demonstrationen mit neofaschistischen Inhalten beteiligt . Auch besuchte er wiederholt andere neonazistische Aufmärsche, so diverse Male den jährlichen “Trauermarsch” in Lübeck und Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltungen in Dänemark. Sein persönliches Umfeld besteht vor allem aus Neonazis aus Ostholstein, wodurch er auch den inzwischen in Neumünster wohnhaften Alexander Hardt kennt.
Seine Funktion in dem “Polenschlüssel”-Versand ist die Geschäftsführung, welche er schon kurz nach dessen Eröffnung im Jahr 2010 von Hardt übernahm .


Alexander Hardt in Kutte

Alexander Walter Wilhelm Hardt stammt ursprünglich aus Ostholstein und wohnt inzwischen in Neumünster. Hardt ist den subkulturell geprägten neonazistischen Strukturen um den neumünsteraner “Club88” und das “Blood and Honour-Netzwerk” zuzuordnen. Erstmals öffentlich bekannt wurde Hardt, als er wegen einer 2008 begangenen Schändung des jüdischen Friedhofs seiner damaligen Heimatstadt Neustadt i.H. angeklagt war. Zu dem Prozess begleiteten ihn bekannte Akteure der Rechtsrock-Szene, so Lars Bergeest und Marko Eckert, Sänger der neonazistischen Band “Words of Anger”. In der Folge fiel Alexander Hardt wiederholt durch Vergehen mit eindeutigen politischen Bezügen auf. So hat er das Booklet der verbotenen CD “Geheime Reichssache” der Band “Kommando Freisler” gestaltet. In dem Booklet sind unter anderem Hakenkreuze abgebildet und es wird auf der CD zu einer Neuauflage der Shoa aufgerufen. Auch für diese Vorgänge in Rahmen des “Blood And Honour”-Projekts “Kommando Freisler” fand sich Hardt vor Gericht wieder .
In den letzten Jahren ließ der politische Aktionismus von Hardt zugunsten seines Engagements bei den “Bandidos” etwas nach. Allerdings ist der Kampfsportler Hardt immer noch eng mit der neonazistischen Szene verknüpft. So trainiert er in Neumünster in der unter Neonazis beliebten Kampfsportschule “Athletik Klub Ultra”, bewegt sich im Umfeld des “Club88” und veröffentlicht auf dem Portal der “Freien Szene”, “Mein-SH”. Auch trägt er immer noch politische Konflikte aus, die zum Teil zu Prozessen führen, wie dem gegen Angelika Beer .
Alexander Hardt ist Gründer des “Polenschlüssel”-Versands und auch Inhaber der Domains. In dem alltäglichen Geschäft scheint er vor allem die Betreuung des Ladengeschäfts in Kiel übernommen zu haben, wo er als Verkäufer auftritt.

Einschätzung

Dass das neue Ladengeschäft sich zu einem offenen Treffpunkt neonazistischer Zusammenhänge entwickelt, ist aus verschiedenen Gesichtspunkten unwahrscheinlich. Zum einen ist der Geschäftsinhalt zu profan und das Geschäftsinteresse insbesondere der “Bandidos” zu groß, um sich einen offenen politischen Anstrich zu geben. Außerdem verfügen jene neonazistischen Strukturen, denen die Betreiber des Geschäfts zuzurechnen sind, mit dem “Club88” über einen offenen Treffpunkt und dürften deshalb keinen Bedarf haben, das kleine Ladengeschäft für solche Zwecke zu nutzen. Zum anderen haben die Neonazis in den letzten Jahren in Kiel den offenen Auftritt weitgehend gescheut, denn die kritische Öffentlichkeit ist dort präsenter als in den ländlichen Regionen.
Trotzdem, oder gerade deshalb, ist das Geschäft aus antifaschistischer Perspektive kritisch zu beurteilen. Schließlich sind alle Betreiber offene Neonazis. Im Falle eines wirtschaftlichen Erfolgs des Geschäfts würden sich in jedem Fall ihre, vermutlich auch die Handlungsfähigkeit ihrer Strukturen vergrößern. Über die Geschäfte im Rocker Milieu wird “verdienten” Kadern so ein wirtschaftliches und soziales Auskommen gewährleistet, ohne das hierzu eine Abkehr von ihren Aktivitäten im politischen Kontext nötig wäre. Neben der Manifestierung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeiten von den schon einbezogenen Kadern stellt dies auch einen Ansporn für junge Neonazist_innen dar, sich zu beweisen und so auch in den finanziellen Einflussbereich der organisierten Kriminalität zu kommen.
Außerdem stellt natürlich jeder öffentliche Auftritt von Neonazis allein schon eine Zumutung für Menschen dar, die nicht in deren Weltbild passen oder passen wollen.

EDIT: Wir verweisen auf einen Nachtrag vom 26.1.2012


Lars Bergeest (ganz rechts) im Kreis dänischer Neonazis beim “Trauermarsch” in Lübeck

Die NPD in Schleswig-Holstein: Ein Zustandsbericht


Sommerfest der NPD

Einleitung

Mit diesem Artikel möchten wir versuchen, eine aktuelle Einordnung des Zustandes des NPD-Landesverbandes in Schleswig-Holstein vorzunehmen. Gerade in Zeiten von zivilgesellschaftlicher Reduktion des Nazi-Problems auf den „NSU“ und das „NPD-Verbot“ halten wir es für sinnvoll, auch weniger spektakuläre neonazistische Zusammenhänge aus antifaschistischer Perspektive zu beleuchten und deren gesellschaftliches Potential abzuschätzen.

In Schleswig-Holstein ist die NPD nach der Fusion mit der DVU und dem frühzeitigen Scheitern der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH) im neonazistischen Milieu konkurrenzlos. Zwar gibt es im rassistischen Parteienspektrum seit 2011 noch die kulturrassistische, eher konservativ-bürgerliche Kleinstpartei „Die Freiheit“, diese ist allerdings bisher weitgehend erfolglos und bis jetzt zu keiner Wahl angetreten.

Trotz dieser Alleinstellung gelingt der NPD die Herstellung einer zivilgesellschaftlichen Anschlussfähigkeit kaum oder nur in sehr spezifischen Kontexten. Eine breite Öffentlichkeit erreicht die NPD nur über Negativ-Schlagzeilen nach militanten Auseinandersetzungen oder Razzien . Auch der jährlich stattfindende und maßgeblich von NPD-Kadern organisierte “Trauermarsch” in Lübeck geht in den breit mobilisierten Gegenprotesten unter. Die NPD agiert und agitiert in Schleswig-Holstein fast ausschließlich in ihrem eigenen subkulturellen Umfeld und bleibt gesamtgesellschaftlich marginalisiert.

Aktuelle Situation des Landesverbands

Aktuell steckt der Landesverband Schleswig-Holstein der NPD in einer handfesten Krise. Neben großen personellen Problemen sind auch inhaltliche und strukturelle Defizite unübersehbar. Bei der Landtagswahl im Mai 2012 schlug sich das in einem herben Misserfolg nieder, wo mit einem Wahlrgebnis von 0,7% nicht nur das vorherige Ergebnis verschlechtert, sondern auch die Hürde zur Parteienfinanzierung (ab 1%) verfehlt wurde.
Ein Einzug in den Landtag war schon vor der Wahl auch innerhalb der NPD als unmöglich betrachtet worden und so wurde der Wahlkampf zu einer Farce. Bei den wenigen Plakaten, die überhaupt aufgehängt wurden, handelte es sich um alte Plakate des NPD-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern mit Link zu deren Internetauftritt, teilweise sogar mit regional auf das andere Bundesland bezogene Themen. Eine eigene inhaltliche Schwerpunktsetzung fehlte völlig.

Ein Großaufmarsch in Neumünster sollte am 1. Mai, wenige Tage vor der Wahl, die nötige Öffentlichkeitswirkung erzielen. Dazu war eigens der NPD Chef-Rhetoriker Udo Pastörs angereist. Am Auftaktort fanden sich allerdings nur rund 30 Neonazis ein. Die restlichen 105 „Kameraden“ zogen den direkten Konflikt mit der Polizei ihrer genehmigten Versammlung vor und wurden sämtlich in Polizeigewahrsam genommen, darunter auch ein Teil des Landesvorstands der NPD S-H und Udo Pastörs. Da auch der Versammlungsleiter Jens Lütke inhaftiert wurde, konnte die angemeldete Demonstration nicht stattfinden und die einzigen zum Auftaktort erschienenden Neonazis irrten, von ihren “Kameraden” im Stich gelassen, durch die Stadt und konnten nicht einmal einer direkten Konfrontation mit Antifaschist_innen entgehen.
Nach diesem missglückten Wahlkampf war eine Wahlniederlage folgerichtig. Nicht einmal das eigene Lager konnte mobilisiert werden. Ganz im Gegenteil kursierten vor der Wahl in Kameradschaftskreisen sogar offene Anfeindungen gegen NPD-Funktionäre wegen deren angeblicher Kooperation mit dem Verfassungsschutz und Boykottaufrufe zur Wahl.

Der Landesverband in Schleswig-Holstein vertritt eine radikale Parteilinie und steht damit im Widerspruch zu der Programmatik der „Seriösen Radikalität“ unter dem Bundesvorsitzenden Holger Apfel, mit der die Bundes-NPD versucht, klassisch bürgerliche Themen zu bedienen und ein Parteiverbot abzuwenden.
Im radikaleren Flügel innerhalb des Landesverbandes gibt es personell große Schnittmengen mit dem militanten und kleinkriminellen Milieu der „Freien Kameradschaften“ und „Aktionsgruppen“. Auch die eher spießbürgerlichen Funktionäre um den neuen Landesvorsitzenden Ingo Stawitz oder den Kieler Ratsherren Hermann Gutsche pflegen ein offenes und intensives Verhältnis zur nicht-parteigebundenen Neonaziszene.
Die Unstimmigkeit zwischen Landes- und Bundes-NPD wurde schon in verschiedenen Situationen offensichtlich, so auch als im Juli 2012 das “Flaggschiff” der Bundes-NPD durch Deutschland tourte und die regionale Neonazi-Szene mit demonstrativer Lustlosigkeit reagierte. In Kiel konnten für die Teilnahme an der Kundgebung nur drei Besucher angeworben werden, wobei es sich dabei um Pflichtbesuche der etablierten Kader gehandelt haben dürfte, immerhin waren nur der Landesvorsitzende Ingo Stawitz, sein Stellvertreter Jens Lütke und der “Landesorganisationsleiter” Daniel Nordhorn anwesend.

Das Verhältnis zwischen der NPD und den sogenannten “Freien Kräften”, lose Zusammenschlüsse meist militanter Neonazis in Kameradschaften oder “Aktionsgruppen” auf lokaler Ebene, ist in Schleswig-Holstein schon immer eng. Während der Hochphase der „Aktionsgruppen“, allen voran die „AG Kiel“, traten die nicht-parteigebundenen Kräfte der NPD zunächst dominant gegenüber, in den letzten Jahren hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Als der ehemalige Landesvorsitzende der NPD, Peter Borchert, ab 2007 die auch überregional wahrgenommene „AG Kiel“ aufbaute, trieb er die NPD damit förmlich vor sich her. Ohne die damals aktiven und mitgliederstarken „Aktionsgruppen“ war die NPD nicht mehr handlungsfähig und kooperierte in Folge dessen eng mit den „Freien Kräften“, um ihren Einfluss zu wahren. Da nun aber einige Führungskräfte der „AG Kiel“ und „AG Neumünster“ ganz offen der organisierten Kriminalität zugehörten, stellte sich selbst für NPD-Verhältnisse ein bundesweites Novum ein: Die NPD musste die “Aktionsgruppen”, tief verstrickt in Waffenhandel und Ähnliches , bezahlen, damit sie an ihren Aktionen teilnahmen und ihre Listen füllten . Die NPD ließ ihre Struktur als Plattform für militante Gruppen und die organisierte Kriminalität verreinnahmen, vor allem um die Rockergruppen „Bandidos“ und „Hells Angels“ .

Die AG-Kiel-Führungskader schieden nach und nach aus der aktiven neonazistischen Szene aus. Peter Borchert und Daniel Zöllner wurden inhaftiert, Peter von der Born wurde zunehmend inaktiver und so hinterließen die Führungskader der „AG Kiel“ ein deutliches Vakuum, da es sich neben dem kleinen Führungszirkel vor allem um junge, subkulturell geprägte Mitglieder_innen aus dem Kieler Vorort Friedrichsort handelte.
Nach der Auflösung der „AG Kiel“ gewann die NPD in der Szene wieder an Bedeutung, da sie nun die entstandenen Lücken mit ihren eigenen Mitgliedern füllen konnte. An Stelle der parteilosen „Aktionsgruppen“ trat in den größten Städten Kiel und Lübeck jeweils eine lose Unterstützer_innengruppe der NPD, die „Freien Nationalisten Lübeck“ (FN HL) und Freien Nationalisten Kiel“ (FN KI), geführt von den örtlichen NPD-Kadern Jörn Lemke (Lübeck) und Roland Siegfried Fischer (Kiel). Sowohl thematisch als auch aktionistisch beschränken sich diese Zusammenhäge auf die Unterstützung der NPD und sind nicht eigenständig aktions- oder gar kampagnenfähig.

Eine interessante Konstellation ergibt sich dabei in Kiel, wo das Gruppengeflecht für die persönliche Feindschaft zwischen zwei Kadern genutzt wird: Die Website des NPD-Kreisverbandes wird in letzter Zeit ausschließlich von dem Kieler Ratsherrn Herrmann Gutsche betrieben, während der “Organisationsleiter” Roland Fischer seine Inhalte über den Blog der „FN KI“ kommuniziert. Das Internetportal „Mein-SH“ ist Jörn Lemke, dem Landespressesprecher der NPD, zuzuordnen und dient allen „Aktionsgruppen“ und „freien“ Gruppierungen in Schleswig-Holstein als Plattform. Auf diesem Portal veröffentlichen ironischerweise auch jene Spektren, die Jörn Lemke der Spitzeltätigkeit für den Verfassungsschutz bezichtigen. Auch duldet die NPD in Schleswig-Holstein seit vielen Jahren militante Bestrebungen in den eigenen Reihen. Viele Kader sind selbst vorbestraft oder an entsprechenden Aktionen beteiligt gewesen. Neben offen militant agierenden Persönlichkeiten wie Peter Borchert , Roland Fischer oder Sven Witte haben auch Kader des sich eher seriös gebenden Flügels einschlägige Vorstrafen: Ingo Stawitz warf Steine und prügelte auf Gegendemonstrant_innen ein , Heino Förster war an Brandstiftungen auf die Unterkünfte von Asylbewerber_innen beteiligt und auch der Angriff auf eine Kundgebung des DGB zum 1. Mai 2011 in Husum wurde maßgeblich von NPD-Mitgliedern geplant und durchgeführt. So ist zu erkennen, dass eine Trennung zwischen dem radikaleren Flügel der NPD und militanten “Freien Kräften” künstlich wäre und nicht die realen Machtverhältnisse widerspiegelt.

Interne Struktur des Landesverbands

Grundsätzlich lässt sich die Personalsituation der NPD in Schleswig-Holstein in verschiedene Kreise trennen. Neben den öffentlich auftretenden Kadern gibt es eher verdeckt auftretende Unterstützer_innen und eine Basis aus aktions- oder erlebnisorientierten Neonazis, auf die bei Aktionen zurück gegriffen werden kann.
Bei den Kadern lassen sich wiederum die nur lokal aktiven von denen mit landes- oder gar bundesweiter Bedeutung unterscheiden.


rechts: Ingo Stawitz

Der Landesvorsitzende, und damit auch automatisch Mitglied des Bundesvorstands der NPD, ist Ingo Stawitz aus Uetersen, ein altgedienter Kader der Neonaziszene, in Personalunion außerdem Vorsitzender des Bezirksverbands Westküste. Bekannt wurde er auch durch seine abrupten und uneinvernehmlichen Wechsel der Parteien, so war er neben lokalen Bündnissen wechselnd für die DVU, DLVH und NPD aktiv. Sowohl organisatorisch als auch programmatisch bleibt Stawitz selbst eher schwach, diese Aufgaben werden weitgehend von anderen übernommen. Seine Wahl dürfte aufgrund der Vorbelastung der anderen Kader beim letzten Parteitag und in direkter Folge der Wahlniederlage alternativlos, aber keine Wunschentscheidung gewesen sein.


Jens Lütke

Organisatorisch und programmatisch führend im NPD-Landesverband ist sein Stellvertreter und ehemaliger Landesvorsitzender Jens Lütke aus Martensrade im Kreis Plön. Als eines der wenigen Mitglieder der Schleswig-Holsteinischen NPD verfügt Lütke über die organisatorischen Fähigkeiten, strukturelle Parteiaufgaben wie Wahlen oder Parteitage zu organisieren. Öffentlich tritt er immer weniger auf, bei der nächsten Bundestagswahl steht er nicht einmal auf der Landesliste. Die ambivalente Haltung der Partei ihm gegenüber ist zum einen auf der herben Wahlniederlage unter ihm als Landesvorsitzenden begründet, in dessen Wahlkampf keine positiven Akzente gesetzt werden konnten und Lütke weder einen kraftvollen Auftritt nach außen noch Schutz für seine Parteikameraden nach innen schaffen konnte. Ganz im Gegenteil tauchte er vor der Wahl förmlich ab. Zudem wird ihm aufgrund seiner autistischen Erkrankung mit Distanz begegnet, da Menschen mit Behinderung nicht in das Weltbild der Neonazis passen.

Jörn Lemke ist Landespressesprecher und für die Erstellung der Parteizeitung „SH-Stimme“ zuständig. Wie bereits beschrieben ist er außerdem im Verhältnis zu nicht-parteigebundenen Strukturen von Bedeutung. Im Allgemeinen versucht er sich an der Öffentlichkeitsarbeit, gilt in neonazistischen Kreisen allerdings als unfähig. So wurde ihm schon vor Jahren die Betreuung des Lübecker „Trauermarsches“ entzogen. Zudem mehren sich gegen ihn und Roland Fischer die Gerüchte, als „V-Person“ für den Verfassungsschutz aktiv zu sein, weshalb ihm teilweise feindselig und mit Misstrauen begegnet wird. Ob ein Angriff auf ihn im November 2012 in diesem Zusammenhang von Neonazis begangen wurde, ist noch unklar.

Schatzmeister des NPD Landesverbandes ist Wolfgang Schimmel. In NPD-Kreisen gilt er als zuverlässig und wurde auch schon für bundespolitische Tätigkeiten eingesetzt. Neben der rein organisatorischen Aufgabe der Finanzbetreuung bleibt er aber eher blass. Zudem ist er aufgrund seiner Ehe mit einer „Nicht-Deutschen“ bei seinen rassistischen Parteikameraden unbeliebt, außerdem soll ihm auch der antifaschistische Protest gegen seine Person über die letzten Jahre zugesetzt haben.


Daniel Nordhorn

Der derzeit aktivste Kader in Schleswig-Holstein ist Daniel Nordhorn, “Landesorganisationsleiter” und Vorsitzender des Kreisverbands Segeberg-Neumünster. Nordhorn bezieht sich gerne in direkter Linie auf den Nationalsozialismus, ist geschichtsinteressiert und -verherrlichend, öffentlich vertritt er aber meist die „Raus aus dem Euro“-Kampagne der Bundespartei. Nordhorn ist als Anmelder für die Mehrzahl der Infotische in Schleswig-Holstein verantwortlich. Inwieweit seinem emsigen Engagement in Zukunft auch durch höhere Aufgaben Rechnung getragen wird, bleibt abzuwarten, denn er gilt Teilen des Landesvorstands als zu unbeherrscht.

Personen, die der Landesverband in den nächsten Monaten verstärkt in die Öffentlichkeit rücken will, sind der Kieler Ratsherr Hermann Gutsche und der Abgeordnete des Kreistages in Lauenburg, Kay Oelke. Obwohl beide während ihrer Amtszeiten keine Akzente setzten konnten und öffentlich kaum wahrnehmbar waren, sollen sie nun die Zugpferde für den Wahlkampf zur Kommunalwahl 2013 werden. Hierzu wurde eine eigene Website eingerichtet, auf welcher die beiden über ihre “erfolgreiche” parlamentarische Arbeit berichten sollen und wie sie den “Blockparteien” das Fürchten lehren wollen. Bemerkenswert ist, dass die Seite während ihres viermonatigen Bestehens noch keinen einzigen Eintrag aufweisen konnte. Größere Bekanntheit erlangte Gutsche nur, als die Polizei seine Wohnung stürmte, weil sie dort im Zusammenhang mit Geschäften der „Hells Angels“ zwei Pistolen und zwei Maschinenpistolen vermutete .


Hermann Gutsche, Roland Fischer (v.l.)

Ein interessantes Beispiel für die persönlichen Machtkämpfe und Streitereien innerhalb der neonazistischen Szene und damit auch innerhalb der NPD ist der jüngste Parteiaustritt vom “Organisationsleiter” in Kiel und Anmelder des jährlichen “Trauermarsches” in Lübeck, Roland Siegfried Fischer. Fischer lebt seit längerem getrennt von seiner Frau Silke, Mutter der beiden gemeinsamen Kinder. Nach längeren persönlichen Konflikten, unter anderem um das Sorgerecht, soll es auch schon zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Ein Outing und andere Proteste nach dem Bekanntwerden seiner neuen Adresse machten Fischer zunehmend nervös, sodass er nur noch unter einem Pseudonym in seiner Wohnung lebt. Der Ehestreit bekam eine parteipolitische Dimension, als Silke in die NPD eintreten wollte, was Roland händeringend versuchte zu verhindern. Hermann Gutsche machte sich daraufhin offen für sie stark. Der Landesvorstand entschied sich für Silke und verlor mit Roland Fischer einen der aktivsten Kader der letzten Jahre. Abzuwarten bleibt nun die Entwicklung bezüglich der von Fischer aufgebauten Gruppe „FN KI“ und seiner Beteiligung am “Trauermarsch”, der schließlich auch von Kadern mit bundesweiter Bedeutung wie Thomas Wulff und Dieter Riefling mitgetragen wird.

Insgesamt scheint die wortwörtliche „Kameradschaft“ innerhalb der NPD entgegen dem eigenen Selbstverständnis nur mäßig ausgeprägt. Im Vorfeld der letzten Wahl und anderer Ereignisse konnte die NPD trotz ihres martialischen Auftretens und dem selbsternannten “Kampf um die Straße” nie die Oberhand gewinnen. Stattdessen wurden die Neonazis Ziel zahlreicher Proteste, wie z. B. im Rahmen der Kampagne “Farbe Bekennen”, im Zuge derer verschiedene Funktionsträger der NPD angegriffen wurden. In keinem bekannt gewordenen Fall konnten die “Ordnerstrukturen” einen Angriff verhindern, im Gegenteil wurden die Betroffenen mit ihren eingefärbten Häusern allein gelassen. Die meisten Neonazis bekamen von ihren „Kameraden“ weder Unterstützung bei der Säuberung noch Schutz vor wiederholten Angriffen. Teilweise schien nicht einmal die Führung des Landesverbandes über alle Angriffe informiert worden zu sein, denn einige Angriffe fehlten oft wochenlang nach ihrem Bekanntwerden in den Aufstellungen der NPD-Webseiten. Eine gute Kommunikationsstruktur und “kameradschaftlicher” Zusammenhalt sehen anders aus.


Marcus Tietz

Die anderen Funktionäre der NPD haben meist nur regionale Bedeutung und prägen nicht das Bild des Landesverbandes mit. Ein kurioses Beispiel hierfür ist Marcus Tietz aus Ahrensbök, ehemaliger “Organisationsleiter” der NPD im Kreis Ostholstein. Dieser verletzte sich jüngst mit einem Messer an dem Armen, um einen Angriff des politischen Gegners vorzutäuschen. Durch die dilettantische Ausführung dieses Planes hat Tietz jetzt ein Verfahren wegen Vortäuschens von Straftaten erhalten und verlor seine Parteifunktionen.

Als wichtigster Unterstützer der NPD in Schleswig-Holstein gilt der Verleger Dietmar Munier. Er betreibt in Martensrade die “Lesen und Schenken”-Verlagsgesellschaft, in welcher diverse rassistische, militaristische und neonazistische Schriften verlegt oder vertrieben werden wie zum Beispiel das monatlich erscheinende Hetzblatt “Zuerst!” oder die “Deutsche Militärzeitschrift” (DMZ). Neben der ideologischen Bedeutung seines Verlages bietet Munier auch ganz konkrete logistische Unterstützung und langjährige feste Arbeitsstellen für NPD-Kader. So nutzen Neonazis immer wieder seine Dienstwagen für Fahrten zu Parteiaktionen, aber auch zu militanten Übergriffen wie am 1. Mai 2011 in Husum. Daneben wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Parteizeischrift “SH-Stimme” in Martensrade verlegt und gedruckt. Jens Lütke absolvierte bei Munier seine Ausbildung und arbeitet seitdem dort. Ideologisch bietet Munter neben seinen Schriften und Devotionalien auch Auftritte bekannter neonazistischer Theoretiker wie dem Holocaust-Leugner Ernst Zündel .

Zu bemerken ist, dass unter den Kadern keine einzige Frau zu finden ist. Entgegen dem bundesweiten Trend der rechten Szene, zumindest kleine Frauenorganisationen aufzubauen, sind solche in Schleswig-Holstein überhaupt nicht vorhanden.

Als integrative Veranstaltung findet regelmäßig ein Sommerfest der NPD auf wechselnden Außenflächen und Feldern statt. Daneben partizipiert die Partei auch an szeneinternen Veranstaltungen, außerdem werden gemeinsam Sonnenwendfeiern begangen oder diverse Denkmäler, z.B. in Laboe, besichtigt. In unregelmäßiger Folge werden auch Liedermacherabende oder Konzerte veranstaltet. Aufgrund der überschaubaren Größe der Szene und den Möglichkeiten zur klandestinen Durchführung der Veranstaltungen in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein bleiben diese Veranstaltungen meist ohne antifaschistischen Protest. Ausnahmen bilden die “Heldentage” zum 8. Mai und Volkstrauertag, wo die Neonazis insbesondere in den Großstädten mit Protesten rechnen müssen, wie dieses Jahr in Lübeck, und das kürzlich verhinderte Fußballturnier von „Bollstein Kiel“ .

Aktionen

Die NPD in Schleswig-Holstein beschränkt sich aktionistisch meist auf Infostände oder kleine Kundgebungen. Wenn diese in den größeren Städten durchgeführt werden, dann allerdings nicht in den Innenstädten, da die Neonazis hier mit zu starkem antifaschistischem Gegenwind rechnen müssen. In Kiel nimmt dieses Spiel teilweise so kuriose Züge an, dass ein Infotisch aus Angst vor antifaschistischen Protesten in einem Stadtteil nach 20 Minuten wieder abgebaut wird und die Neonazis in einen anderen Stadtteil umziehen, wo sich das ganze dann wiederholt. Ein besonderer Trend ist zudem im Gebiet es Kreisverbands Segeberg-Neumünster zu erkennen, wo Daniel Nordhorn und sein Gefolge im Jahr 2012 schon 17 Infostände in teilweise kleinsten Ortschaften abgehalten haben. Der jüngste in der Kreisstadt Bad Segeberg ging im antifaschistischen Protest unter , in den Dörfern mit wenig Einwohnern bleiben die Infotische meist unbemerkt. Dennoch hat dieser kleine Kreisverband unter Daniel Nordhorn die anderen Kreisverbände in puncto Aktivität damit weit übertroffen.

Inhaltlich kommt die NPD in Schleswig-Holstein aus ihrem langjährigen Dilemma nicht heraus: Es fehlen die Führungsfiguren und Vordenker_innen, um eigene inhaltliche Akzente setzen zu können. Darum wird mangels eigener Möglichkeiten die Programmatik der Bundes-NPD übernommen. Dem radikalen Landesverband reichen allerdings keine “weichgespülten” Forderungen wie die Rückkehr zur D-Mark.

Eine über die eigenen Reihen hinausgehende gesellschaftliche Partizipation erhielt die NPD zuletzt in den Protesten gegen „Kinderschänder“ in Leck und Neumünster , wo es organisierten Neonazis gelang, sich an die Spitze von Protesten „normaler“ Bürger_innen zu setzen. Neben den klassischen Forderungen nach Zwangskastrationen oder Lynchjustiz kam es dabei teilweise auch zu Ausschreitungen. Des Weiteren integriert sich die NPD in Aktionen, die vordergründig den “Freien” zugeschrieben werden, wie den schon erwähnten “Trauermarsch” in Lübeck oder auch diverse unangemeldete und militante Aktionen wie in Husum am 1. Mai 2011. Das Mobilisierungspotential ist bei allen Aktionen eher schwach ausgeprägt. Ohne die maßgebliche Unterstützung aus Mecklenburg-Vorpommern könnte der jährliche “Trauermarsch” in Lübeck nicht mehr durchgeführt werden, Infostände ziehen meist zwischen 2 und 10 Teilnehmer_innen an und Aktionen mit mehr als 20 Personen sind selten. Die Demonstration in Neumünster zum Wahlkampfabschluss am 1. Mai 2012 wäre ohne die Unterstützung aus anderen Bundesländern nicht durchführbar gewesen. In diesem Zusammenhang hat die NPD neben der geringen Zahl der Sympathisant_innen auch mit der geringen Motivation in den eigenen Reihen zu kämpfen. Wahlniederlagen, die schlecht aufgestellte Führung und nicht zuletzt antifaschistische Interventionen machen es für die Neonazis weniger attraktiv, öffentlich aufzutreten, als sich an szeneinternen oder militanten Aktionen zu beteiligen. So ist der gesamte Kreis Ostholstein ein Beispiel für einen klassischen Rückzugsraum für Neonazis mit funktionierenden Blood-and-Honour-Strukturen. Hier sind kaum öffentliche Auftritte zu verzeichnen, dafür eine größere Zahl intern mobilisierter Aktionen.

Fazit

Der NPD-Landesverband steckt in einer Krise und kann im Moment kaum die rudimentären Aufgaben einer Partei erfüllen. Während einige Kreisverbände mit einer Handvoll aktiver Mitglieder noch vergleichsweise gut aufgestellt sind, sind andere quasi inexistent. Aus antifaschistischer Perspektive sollten vor allem die persönlichen Verflechtungen wichtiger Akteure in das kleinkriminelle Milieu beobachtet werden, denn neben dem momentan existierenden allgemeinen destruktiven Trend liegt hier noch Potential für die Neonaziszene. Insbesondere eine erneute Verknüpfung der NPD mit den Rocker- und Blood-and-Honour-Strukturen um Peter Borchert bleibt abzuwarten, denn diese sind neben der wirtschaftlichen Basis auch organisatorisch besser aufgestellt als die NPD und könnten der Partei wieder die ersehnte Durchschlagskraft “auf der Straße” verschaffen. Diese Entwicklungen werden sich vermutlich nach der baldigen Haftentlassung von Peter Borchert absehen lassen.

Ausblick

Das neue Jahr wird für den NPD-Landesverband ein entscheidendes. Zunächst einmal steht mit einem möglichen NPD-Verbot eine existentiell wichtige Entscheidung im Raum. Die Konkurrenz im neonazistischen Lager, „Die Rechte“ um Christian Worch, läuft sich dafür bereits warm und die Gerüchte um die geplante Gründung eines eigenen Landesverbandes in Schleswig-Holstein nehmen zu. Außerdem steht mit der Kommunalwahl eine Art Schicksalswahl bevor, denn hier entfällt die 5%-Hürde und so können schon bei etwa 1% der Stimmen Ämter besetzt und damit auch eine politische Partizipation erleichtert werden. Im derzeitigen Zustand ist das für den Landesverband ein ambitioniertes, aber zumindest in einzelnen Regionen erreichbar erscheinendes Ziel. Sollte dies allerdings schon wieder verfehlt werden, dürften die kritischen Stimmen lauter werden und der Fall in die politische Bedeutungslosigkeit drohen. Auch der Kampf zwischen den Flügeln und einzelnen Personen wird vermutlich weitergehen. Ob der Rauswurf von Tietz und der Austritt Fischers die Situation etwas zur Ruhe bringen, wird sich zeigen, aber zumindest spricht diese Entwicklung für eine vorübergehende Stärkung der konservativen Kräfte.
Wir werden unsere Augen und Ohren offen halten.