Vier Kommunalmandate für Neonazis in Schleswig-Holstein

…und zwei kamen nüchtern.

Am 26. Mai waren in Schleswig-Holstein Kommunalwahlen. Trotz eines Zustandes zwischen Inaktivität und aktiver Zersetzung hat das neonazistische Lager vier Mandate, verteilt auf drei Personen, erringen können. Nicht einmal die Neonazis selbst verbuchen dies als Erfolg ihrer Arbeit, sondern sehen das Ergebnis der Wahl eher als Beleg für eine ohnehin vorhandene rechte Wähler_innenschaft. Tatsächlich ist der Wahlkampf der schwächste seit Jahren gewesen, lediglich eine Kleinkundgebung und ein paar wenige Flyer und Aufkleber wurden registriert. Dazu kamen Auseinandersetzungen in der Szene, sodass die angestrebte Inszenierung als “Kümmerer-Partei” nicht gelang (wir berichteten schon vor der Wahl über den Wahlkampf) . Selbstredend werden Schuldige im Nachgang des Wahlkampfes wahlweise bei den “linksextremistischen Gewalttätern” oder den “Etablierten” gesucht, nur um notdürftig zu kaschieren was ohnehin allgemein bekannt ist: das Führungspersonal der NPD in Schleswig-Holstein ist unfähig oder hält sich momentan demonstrativ zurück. Nach einer Zeit der Vorherrschaft der Neonazi-Partei gewinnen zunehmend wieder parteiunabhängige Strukturen an Bedeutung in der Szene, allerdings noch auf schwachem Niveau.
In den letzten Wochen fanden in den Kreisen, Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein die konstituierenden Sitzungen der jeweiligen Vertretungen statt. Auch die vier Mandate an Neonazis wurden vergeben. Diese Gelegenheit soll genutzt werden, um die Ereignisse kurz Revue passieren zu lassen und die Chancen der Mandatsträger und ihrer Organisationen abzuschätzen.

Im Kreis Herzogtum Lauenburg und in seiner Heimatstadt Geesthacht trat Kay Oelke für die “Rechtstaatliche Liga” (RL) an und gewann jeweils einen Sitz in der Stadtvertretung von Geesthacht und im Kreistag in Ratzeburg. Nachdem Kay Oelke seine letzte Amtszeit als Abgeordneter noch als NPD-Mitglied absolvierte, entstand vor der aktuellen Wahl Verwirrung um die Bedeutung der RL. Der Landesverband der NPD sah die RL wohl als reine Tarnliste der NPD, um mit dem bürgerlicheren Namen neue Wähler_innengruppen zu erschließen, die “Kameraden” aus der RL lehnten aber zum Teil eine Zusammenarbeit mit der NPD ab. Nach einem Schlingerkurs trat Oelke schließlich aus der NPD aus und sieht sich deshalb mit Anfeindungen der neonazistischen Szene konfrontiert .


Kay Oelke

Die konstituierenden Sitzungen für Oelkes Mandate verliefen unspektakulär, einzig seine Weigerung, sich in der Stadtvertretung von Geesthacht mit anderen ein Ansichtsexemplar eines Antrags zu teilen, sorgte für Erheiterung. Oelke hingegen witterte “Undemokratische Machenschaften – volle Breitseite schon in der ersten Ratsversammlung!” und erkämpfte sich mit verbaler Überzeugungskraft seine eigene Kopie des Antrags. Weitergehende politische Akzente sind von Oelke nicht zu erwarten, schließlich hat er das Wahlprogramm der RL ganz im Stile der Schill-Partei gehalten, deren früherer Landesvorsitzender er war. So sind ein modifiziertes Strafrecht und unabhängigere Richter_innen zentrale Forderungen der RL, ignorierend, dass auf beide Themen weder der Stadtrat von Geesthacht noch der Kreistag in Ratzeburg Einfluss haben.

In Kiel errang der Neonazi Hermann Gutsche auf dem Ticket der “Wahlalternative Kieler Bürger” (WAKB) ein Mandat für seine zweite Amtszeit als Ratsherr von Kiel. Die WAKB stellt eine reine Tarnliste der NPD dar, um trotz des negativen Images Mandate zu erhalten. Die Finanzierung und Organisation wurden durch den Landes- und Kreisverband der NPD gestellt. Trotzdem wurde Hermann Gutsche durch seinen eigenen Kreisverband im Stich gelassen. Weder im Wahlkampf noch bei der Besetzung der Wahlliste gab es wahrnehmbare Unterstützung. Ohne die Allianz mit der neonazistischen Fussballmannschaft “Bollstein Kiel” hätte Gutsche weder die Liste füllen noch einen Wahlkampf führen können, auch wenn dieser wie im Rest des Landes sehr schwach ausfiel. Die Gründe mögen in dem allgemeinen Zustand der Partei liegen, aber auch die Machtkämpfe im Kreisverband, insbesondere zwischen Gutsche und Roland Fischer , dürften ihr Übriges dazu beigetragen haben.


Hermann Gutsche

Während der konstituierenden Ratssitzung kam es zu Protesten innerhalb und außerhalb des Rathauses .

In Neumünster zog erstmals Mark Proch in den Stadtrat ein. Damit ist er der einzige Vertreter, der direkt für die NPD antrat. Proch machte sich zusammen mit seiner Frau Sonja einen Namen in Neumünster, als er Proteste gegen Pädosexuelle organisierte . Mit seinem Kompromiss zwischen neonazistischer Politik auf der einen und anschlussfähiger Mobilisierung auf der anderen Seite schaffte er kurzeitig ein Novum in Schleswig-Holstein: das neonazistische Lager konnte seine klandestinen Zirkel aus rechten Seilschaften, organisierter Kriminalität und internen Szene-Veranstaltungen verlassen und sich an der Spitze eines “Volksmobs” zur Durchsetzung des vermeintlichen “Bürgerwillens” berufen fühlen. Auch wenn dieses Kapitel beendet scheint, spülte seine Bekanntheit Mark Proch an die Spitze der Wahlliste in Neumünster und von dort in den Rat.
Während Hermann Gutsche im nahen Kiel von den “Kameraden” der NPD im Stich gelassen wurde, erschienen zur konstituierenden Ratssitzung in Neumünster ein paar weitere Neonazis. Neben dem stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Jens Lütke (Preetz) kam u.a. der Wirt der Neumünsteraner Neonazi-Kneipe “Titanic”, Horst Micheel, blieb aber vermutlich aufgrund der Proteste vorm Rathaus im Hintergrund.


Mark Proch wird von Jens Lütke ins Rathaus begleitet

Trotz allem zeigt auch der NPD-Kreisverband Segeberg-Neumünster als zur Zeit aktivster Kreisverband zunehmend Schwäche. Die beiden Aktivposten Daniel Nordhorn (Kreisvorsitzender) und Mark Proch entwickeln sich aufgrund ihrer Eskapaden zum Bumerang für die Partei. Nordhorn gilt als unbeherrscht und unzuverlässig und scheint zunehmend von den Kapriolen seines Privatlebens eingeholt zu werden. Mark Proch wurde nach Berichten von Augenzeug_innen vor seiner Vereidigung im Rathaus von Neumünster trinkend und pöbelnd mit anderen Neonazis in der Innenstadt gesichtet. Jens Lütke musste den offenbar alkoholisierten Proch eigens in das Rathaus begleiten. Auch dort schien er der Sitzung nur schwer folgen zu können. Konsequenterweise wurde die Organisation des Wahlantritts der NPD in Neumünster den lokalen Verantwortlichen schon Anfang des Jahres entzogen und der Landesvorstand übernahm die Aufgaben.


Sonja und Mark Proch als Organisator_innen des “Volksmobs” in Neumünster